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Patrik Lörsch

"Die Sexualität und das Unbewusste"

Abschlussarbeit Sexualpädagogik Oktober 2004



Inhalt






Einleitung

Theorie schafft Grundlagen und gibt Hilfestellung sich in der Praxis zu orientieren und sexualpädagogisch zu arbeiten.

In meinem Arbeitsfeld, der Heimerziehung setze ich mich vorrangig mit Kindern und Jugendlichen auseinander, die schwer erziehbar sind, und schon früh in Familien oder Regelpädagogischen Einrichtungen (Kindergärten und Schulen) nicht haltbar waren. Die Erfahrungswerte dieser Kinder und Jugendlichen sind im negativen Erleben sehr breit gefächert. Dies reicht von emotionaler Verarmung, über Strukturlosigkeit, bis hin zu Missbräuchen. Die Auswirkungen solch eines Erlebens spiegeln sich im Verhalten der Kinder wieder. Dabei ist dieses Spektrum an Reaktionen so groß und vielfältig, das es einer guten Beobachtungsgabe bedarf, um die Notlage des einzelnen Kindes oder Jugendlichen wahrzunehmen. Die Not des einzelnen erkennen, also, den Punkt finden, wo der "Schuh drückt", um dann Lebenshilfe zu geben, dazu bedarf es einiges mehr.

Meine Stärke war bisher die Wahrnehmende Beobachtung bei Kinder und Jugendlichen aus meiner sozialpädagogischen Sicht.
Ich musste in meinem Alltag aber auch feststellen, dass ich manche Probleme erkannte, sie aber oftmals nicht einordnen konnte. Ich vermutete, dass bei vielen Problemen ein Ursprung auch in der Sexualität des einzelnen stecken konnte. Im Laufe der Ausbildung wuchs mein Wunsch Problematiken nicht nur zu erkennen, sondern auch zu erklären und als Folge davon, mein pädagogisches Handeln begründen zu können. Es wurde mir deutlich, dass ich nur mit theoretischem Grundwissen über die Sexualität in der Psychoanalytik, auch einen Blick aus sexualpädagogischer Sicht auf die Kinder und Jugendlichen werfen konnte.

In dieser Abschlussarbeit dokumentiere ich, wie ich mein jüngst erworbenes Fachwissen in meinen Arbeitsalltag einfließen lasse.
Um mein Grundwissen zu erweitern beschäftigte ich mich mit der Theorie von Siegmund Freud zum Thema: Sexualität und das Unbewusste.

Einzelne Charakterstrukturen von Karl König werde ich vorstellen und dazu aus meiner Praxis Fallbeispiele benennen.
Bei Wurmser habe ich mich näher mit der Scham und ihren Schutzmechanismen beschäftigt.
Mir wurde bei der Auseinandersetzung mit diesen Themen deutlich, dass viele Probleme, die Kinder und Jugendlichen in meiner Gruppe haben, auch ihren Ursprung in der Sexualität finden.






1. Die Entwicklung der Sexualität


1.1. Sexualität - Definition nach F. Dorsch

Sexualität = lat. sexus =Geschlecht.
Sexualität ist ein mehrdeutiger Begriff, der sowohl die reine Geschlechtlichkeit des Männlichen und Weiblichen bedeutet, wie auch den Geschlechtstrieb mit seiner besonderen weitreichenden Variation und Ausstrahlung und seiner kulturellen Gestaltungskraft.

Herkömmlich definiert man S. als die Gesamtheit aller mit dem Sexus begründeten (begründbaren) Lebensäußerungen, wobei jedoch in Grenzfällen deren sexuelle Zugehörigkeit nur schwer entscheidbar ist (hat z. B. das Kleinkind beim Daumenlutschen Lustgefühle sexueller Art?). Der gegebenen Definition der S. wird hinzugefügt, dass sie zu den nichthomöostatischen Regelungen gehöre. Sie besitze dafür keinen genügend eindeutigen Sättigungsmechanismus, sie ist nicht wie Hunger, Atmung, Ausscheidungsfunktionen u. ä. auf die bloße Stillung eines physiol. Bedürfnisses reduzierbar. Psychologisch ist jedes Verhalten als sexuell zu werten, das zugleich die körperlich-nervliche Erregung des Geschlechtsorganes (Reizung) mit intensiver ps. Beteiligung ausweist gleich ob dies in individuellem Alleingang, in der Begegnung zweier Geschlechter (zur Kopulation oder nur zur geschlechtlichen Befriedigung) oder auch zwischen Individuen gleichen Geschlechts abläuft. Ob S. "instinktiv" dem Menschen zu Eigen ist (mit allen Vorbehalten gegen die Bedeutung des T Instinktes) oder ob für sie Prinzipien der T Lerntheorien zu gelten haben (wofür z. ß. die bekannten Exp. von Harlow mit Affen sprechen), bleibt zur Klärung noch ebenso Forschungsziel wie die vielfältigen Probleme, die nach Überwindung der lange Zeit im Sexualbereich herrschenden Tabuisierung aus umfassenden Erhebungen zum "Intimverhalten" (Kinsey-Reports u. a.) bekannt geworden sind. Die S. variiert in ihrer Erscheinung auch noch äußerst stark mit den verschiedenen kulturell-gesellschaftlichen Strukturen (Patriarchat, Matriarchat u.a.m.) sowie dem rituell herrschenden sexuellen Brauchtum (Beschneidung).



1.2. Die sexuelle Entwicklung in drei Phasen

Die Triebentwicklung (Persönlichkeitsentwicklung) beginnt unbewusst in frühester Kindheit und teilt sich in drei charakteristische Phasen ein. Alle Phasen sind eine Modifikation (Veränderung) in der Entwicklung des Sexualtriebs. Ich möchte einen kurzen Überblick über die drei Phasen geben und mich dann praxisbezogener der ödipalen Phase zuwenden.

  • Orale Phase
    In dem ersten Lebensjahr konzentriert sich die ganze Lust auf den Mund. z. B. das Trinken der Muttermilch von der Brust, das Daumenlutschen ist eine Stimulierung und Befriedigung der oralen Lust und Bedürfnisse.

  • Anale Phase
    Die Wichtigkeit in den nächsten Jahren liegt für das Kleinkind darin, möglichst großen Lustgewinn durch die Ausscheidungsorgane zu erreichen. Daher auch eine größere Beschäftigung des Kindes mit dem Ausgeschiedenen, seinem ersten selbst Produziertem.

  • Ödipale - Phallische Phase
    Vom ca. dritten bis sechsten Lebensjahr findet diese Phase statt und findet das Ende in der Latenzphase bis zum Beginn der Sexualität. (Genitale Phase) Die sexuelle Entwicklung erreicht nun einen Höhepunkt, in dem sich das Interesse verlagert. Hat das Kind sein Interesse bisher nur auf die Mutter beschränkt, entwickelt es jetzt Phantasien und Interessen, die auf das gegengeschlechtliche Elternteil abzielen. (Das Kind ist nun in der Lage, stabile Objektbeziehungen einzugehen.) Der Hass richtet sich nun auf das Gleichgeschlechtliche Elternteil. Wird aber von unbewussten Schuldgefühlen begleitet, aus denen eine Kastrationsangst oder Penisneid resultiert.






2. Erläuterung des Unbewussten nach Freud,
theoretische Darstellung der Thematik mit einem Fallbeispiel aus meiner Praxis


2.1. Das Unbewusste - Definition nach F. Dorsch

Begriff für eine verborgene psychische Struktur, "Schicht", Instanz oder unzulängliches Konstrukt bzw. nicht kontrollierbare psychische Prozesse. In der topografischen Theorie des seelischen Apparates von Freud hat das Unbewusste als System eine besondere Bedeutung erhalten. Seine Funktion wird aus der Bewältigung von Konflikten abgeleitet. Wenn Konflikte nicht adäquat bewältigt werden, werden sie aus dem Bewusstsein verdrängt, in das Unbewusste verschoben und dort abgelegt!



2.2. Darstellung des Unbewussten nach Siegmund Freud.
Erklärungsmodell: "Ich" - "Es" - "Über-Ich"

In der Psychoanalyse ist das Unbewusste der elementarste Begriff, welchen ich versuche möglichst transparent darzustellen. Zur Verdeutlichung hilft die Schilderung des Erklärungsmodells über das "Ich - Es und Über-Ich". Den ersten Blick möchte ich auf das Unbewusste werfen.

  • Seelische Vorgänge, welche ich bemerke und zu denen ich dann auch Zugang habe, sind bewusst.

  • Die seelischen Vorgänge, welche Vorbewusst genannt werden, sind nicht direkt erkennbar, können jedoch mit Bemühungen das Bewusstsein wieder erreichen.

  • Seelische Vorgänge, die nicht, oder nicht mehr gewusst werden, die aber erlebtes verarbeiten wollen, und auch so deutlich Einfluss auf Verhalten nehmen, werden als Unbewusst bezeichnet.

Zur Regulierung und Steuerung solcher seelischen Vorgänge bietet Freud das Erklärungsmodell zur Persönlichkeit an (Ich - Es und Über-Ich). Es verdeutlicht auch die Darstellung der Person an sich. Dieses Persönlichkeits-Modell unterteilt sich in drei Instanzen. Diese Erläuterung startet mit der Instanz, welche auch die elementarste ist, die seit dem ersten Lebensjahr vorhanden ist, dem Es! Die Aufgabe des Es ist die ausschließliche Befriedigung von Trieben (Lustprinzip). Die Bedürfnisse und Wünsche des Es haben immer ein Ziel, und zwar das Ziel der Befriedigung. Dies bedeutet auch, dass das Es und die damit verbundenen Triebwünsche sich immer auf ein Objekt richten. Z.B. wenn ein Baby die Lust (Verlangen) nach der Befriedigung von Hunger oder Zärtlichkeit hat, so wäre das Objekt die Mutter. Diese vom Es gemeldeten Wünsche werden dann vom Über-Ich analysiert. Es fängt an zu bewerten und prüft, ob solche Wünsche dann auch erfüllt werden dürfen. Salopp gesagt, ist das Über-Ich der Moralapostel (Moralitätsprinzip). Das Ich prüft dann die Wirklichkeit und vermittelt zwischen Über-Ich und Es. Das Ich ermittelt so, ob Bedürfnisbefriedigung möglich ist oder nicht. Je nach dem Gefühl (z.B. Schuld), welches vom Über-Ich entwickelt ist, entscheidet dann das Ich, ob die Wünsche des Es erfüllt werden können. Das Ich hat aber noch eine weitere Aufgabe, nämlich den Umgang mit den Bedürfnissen, die nicht zulässig sind. Hier sorgt das Ich dann dafür, dass diese Wünsche unbewusst gemacht werden, oder das eine Verdrängung passiert. Nun haben wir das Unbewusste wieder erreicht, wobei durch die Verdrängung (nur eine von vielen Abwehrmechanismen) die Triebwünsche und Gefühle weiter im Unbewussten bestehen bleiben und so natürlich auch große Einflüsse auf das Verhalten nehmen.



2.3. Fallbeispiel Natalia

Den ausschließlich theoretischen Ausführungen über die Persönlichkeitsentwicklung und dem Unbewussten, würde ich gerne einen Bezug zu meiner Arbeit geben und mit einer Szene ausstatten, welche die oben genannte Theorie belegt.

Natalia ist dreizehn Jahre alt und erst seit kürzester Zeit bei uns in der Einrichtung. Sie wurde früh von der Mutter verlassen und ausschließlich vom Vater betreut, der nun um Hilfe sucht, weil seine Tochter Regeln missachtet und die Mächtigere ist. Bei den ersten Treffen mit Vater und Tochter war deutlich zu sehen, wie die Tochter auf den Vater Einfluss nimmt und er Schwierigkeiten hat, seiner Tochter Struktur zu geben und diese dann auch zu halten. Nur durch die Bestärkung von uns schaffte auch der Vater es, sich an, von uns vorgegebenen Regeln zu halten und nicht der Tochter nachzugeben. Das Machtgefüge in dieser Vater- Tochterbeziehung ist komplett aus den Fugen geraten.
Ich denke, dass der Ursprung dieser Problematik in der ödipalen Phase zu suchen ist. Wenn wir davon ausgehen, dass eine sexuelle Orientierung durch das Abwenden der Mutter hin zum Vater gegeben ist, können wir deutlich sehen, dass Natalia nie Konkurrenz erfahren hat. Sie musste nie erfahren, dass der Vater sich positioniert, also nie die Beziehung zur Mutter höher einstufte. Natalia war also immer die Nummer eins. Wenn ihr Wunsch also ist, den Vater für sich zu haben, (das sie mit ihm sexuell gesehen kompatibler ist - ich möchte Papa heiraten) hat sie dies ohne großen Aufwand geschafft, nicht mal die Mutter setzte Grenzen, sondern sie verließ die Familie.
In der täglichen Arbeit ist es gut zu spüren, dass Natalia den Kampf sucht. Sie hat natürlich großes Interesse weiter alle Regeln zu bestimmen. Schon eine Veränderung, auf Natalias Wunsch hin (z.B. heute später Abendbrot zu essen), wertet sie als einen Erfolg über den Mitarbeiter. Sie gibt sich große Mühe, Extras (Telefonat, Süßigkeiten) zu bekommen und sich in ihrer Macht bestärkt zu sehen. Täglich werden von uns Kämpfe bestritten, die Positionen deutlich zu machen. Alleine der Erfolg darüber, kann uns das Kind in unserer Einrichtung halten lassen.
Ich denke, dass wir hier täglich den Abwehrmechanismus der Projektion erleben. Natalia projiziert also die Rolle des Vaters auf den Mitarbeiter. Hier ist zu sagen, dass dem männlichen Mitarbeiter viel Sympathie von ihrer Seite entgegengebracht wird. Ähnlich, wie bei dem Vater, kokettiert oder droht sie, sich was anzutun um ihre Ziele zu erreichen. Aus dem Unbewussten heraus arbeitet sie so die Problematiken in der Vater - Tochter Beziehung ab. Projektionen sind auch bei den weiblichen Mitarbeiterinnen zu beobachten. Natalia begegnet den Frauen mit viel mehr Skepsis und Ablehnung als den Männern. Ich denke, dass sie damit für das damalige Verhalten der Mutter durch Projektion von ihr abgestraft werden. Natalia versucht hier, sich nicht auf die Mitarbeiterinnen einlassen zu müssen und sucht Wege, Probleme und Wünsche mit einem Mitarbeiter zu klären. Sie geht davon aus, dass ihre Trefferquote bei Männern höher ist. Abschließend ist zu sagen, dass die erlebte Verlustangst durch die Mutter es natürlich schwieriger gestaltet, eine Beziehung mit einer Mitarbeiterin einzugehen, um Erlebtes nicht noch einmal zu erleben.






3. Darstellung der einzelnen Charakterstrukturen nach Karl König

Ausgehend davon, dass die Charakterstrukturen ihre Entstehung auch im Unbewussten haben, findet sich leicht ein Übergang zu Karl König. Durch deutliche Merkmale ist es nachvollziehbar, wie sich Charakterstrukturen z.B. durch die Versorgung der Mutter und so auch in der Beziehung zur ihr entwickeln können. Die Verankerung lässt sich über das Unbewusste im Erklärungsmodell zum Ich und Es und Über-Ich wieder erkennen.
Karl König unterscheidet in mehreren Charakterstrukturen: narzisstisch, schizoid, borderlin, depressiv, zwanghaft, phobisch und hysterisch. Die Charaktertypen, die er in diesem Buch beschrieben hat, sind aus seiner Arbeit mit Kranken entwickelt worden. Eine Struktur ist aber nicht immer etwas Krankhaftes. Alle Menschen können diesen Charakterstrukturen zugeordnet werden. Es gibt einen kontinuierlichen Übergang vom Kranken, der neben seinen Symptomen auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aufweist, zu Menschen hin, die man allgemein als gesund ansieht. Wenige Menschen sind nur einer Struktur zuzuordnen. Meist hat man es mit Kombinationen zu tun. Wie in diesem Buch auch vorgegeben, werde ich idealtypische Charakterbilder und deren typische Entstehung beschreiben.



3.1. Die narzisstische Charakterstruktur

Definition aus dem "Kleinen Wörterbuch der Psychoanalyse" Thomas Achter/Laura Viviana Strauss:
Narzissmus - Die Psychoanalyse unterscheidet zwischen einem gesunden und einem pathologischen Narzissmus. Dagegen ist im Allgemeinen Sprachgebrauch die Formulierung "narzisstisch" kontrolliert, im Sinne von "egoistisch" oder ausschließlich "selbstbezogen".

Erklärungsmodell "narzisstische Charakterstruktur" nach Karl König
Nach Karl König liegt der Ursprung für diese Charakterstruktur im Erleben in der frühen Kindheit. Der narzisstische Mensch wurde von der Mutter nicht wichtig genommen. Oder aber, die Mutter nahm das Kind wichtig, konnte es aber nicht übermitteln. Grund dafür konnte sein: Konflikte in der Familie, zeitliche Einschränkung durch Berufstätigkeit usw. Bedürfnisse des Kindes wurden nicht erkannt oder nicht erfüllt. Würde das Kind seine Situation als existenzielle Bedrohung empfinden, so Karl König, zieht sich der Säugling in seine eigenen Phantasien zurück, er macht sich von außen unabhängig, alle Personen in seiner Umgebung (Umwelt) werden für ihn unwichtig. Da ein solcher Mensch die Erfahrung, von außen her wichtig genommen zu werden nicht oder nur unzureichend macht, formt sich bei ihm kein "Behältnis" aus, in dem er Bestätigung von außen speichern könnte. Wenn er auf die Bestätigung von außen nicht ganz und gar verzichtet, sondern noch eine Sehnsucht danach behält, ist er auf ständige, in kurzen Abständen sich wiederholende Bestätigung angewiesen. Was ein anderer Mensch an Bestätigung speichern könnte, perlt an ihm ab, oder, wenn er es aufnimmt, entsteht im inneren Behältnis ein Überdruck, der einen Erregungszustand hervorruft, der zu ihn beängstigenden Omnipotenzphantasien aktiviert und manchmal auch zu Selbstgefährdenden Handlungen führt, er denkt, es kann mir nichts passieren. Zur Erhaltung dieser Omnipotenz brauchen diese Menschen aber oft andere Menschen, die sie aber oft auf ihre Funktionen reduzieren, Anerkennung und Bewunderung zu liefern oder diese zu ermöglichen.



3.2. Die schizoide Charakterstruktur

Definition von 1951 von Kurt von Sury.
Schizoid = spalten = Ausgesprochen kontaktunfähig.

Erklärungsmodell "schizoide Charakterstruktur" nach Karl König
Bei dem schizoiden Menschen ist das Erleben so, dass er keine Trennung (keine wirkliche) zwischen sich und seinem Gegenüber wahrnimmt und wenn, nicht zulässt! Also, sein Selbst und das Objekt werden als "Eins" erlebt. Wird jedoch eine Trennung zwischen seinem Selbst und dem Objekt erlebt, ist er bemüht, genau diese Trennung aufzuheben! Auch der Ursprung, der schizoiden Störung wird nach Karl König, durch Vernachlässigung in früher Kindheit gesehen. Diese Vernachlässigung hat jedoch nicht durchgehend, sondern immer mal wieder stattgefunden. Das Kind hat also Glücksmomente und Bedürfnisbefriedigung erlebt, und das, nicht nur im Mutterleib. Es sehnt sich einerseits nach verschmelzender Harmonie mit der Mutter, fürchtet aber gleichzeitig das unempathische, sie bedrängende und in sie eindringende Mutterobjekt, das es immer mal wieder erlebt hat. Dieses Erleben bringt ihn dazu, Angst davor zu haben von einem anderen Objekt okkupiert und in seiner getrennten Identität in Frage gestellt zu werden. Hat ein schizoider die unempathischen Aspekte des Mutterobjektes in sein Selbst integriert, projiziert er diese auf andere Objekte, besonders, wenn er sich nicht mit genauer Empathie auf ihn einstellen kann. Die Entwicklung der Realitätsprüfung ist meist auffällig beeinträchtigt, so das der schizoide nicht nur Schwierigkeiten mit Menschen, sondern auch mit Dingen hat.



3.3. Die borderline Charakterstruktur

Der Begriff "Borderline" wird auch in der Psychoanalyse vielschichtig verwandt; vom Wort her lässt er sich als "Grenzstörung" übersetzen.

Erklärungsmodell "borderline-Struktur" nach Karl König
Menschen mit einer Borderline-Struktur setzen Spaltungsvorgänge im ICH und im Gegenüber ein. Sie sehen ihre Mutter z.B. nicht ganzheitlich. Sie sehen sie nicht als eine Person mit Stärken und Schwächen an. Diese Mutter-Person wird in einen "Guten" und in einen "Bösen" Teil gespalten. Sie erleben und handeln in voneinander getrennten Ich-Zuständen. Diese Spaltungsvorgänge schwächen das Ich! Große Unsicherheit und Uneinigkeit gibt es in der Borderline-Struktur. Karl König geht davon aus, dass der Ursprung in der frühen Kindheit entsteht, wenn aus Umwelteinflüssen oder auch aus Veranlagung ein großes Agressions-Potential entsteht. Mit dem dann nicht so gut umgegangen werden kann, wie mit der Spaltung der Objekte. (siehe Beispiel Mutter) Dies geschieht wahrscheinlich in der Zeit, wo die Mutter als lebenswichtig wahrgenommen wird. Negative Verhaltensweisen der Mutter lösen die Borderline- Struktur aus, da sich das Kind durch die Spaltung (Abwehrmechanismen) die guten positiven Aspekte der Mutter sichern will. Beim Erwachsenen lässt sich beobachten, dass sie dazu neigen, Dinge zu verteufeln oder zu idealisieren, wobei die Idealisierung und die Verteufelung einer Person blitzschnell wechseln können. Die Borderline Entwicklung wirkt sich schlecht auf die Entwicklung des ICH`S aus. Dies ist nicht nur der Fall in der Funktion der Realitätsprüfung, sondern auch auf andere Ich-Funktionen, die notwendig sind, mit Menschen in Beziehung zu treten!



3.4. Die depressive Charakterstruktur

Depression bezeichnet eine Gruppe seelischer Erfahrungen, bei denen eine bedrückte Stimmungslage dominiert und sie mit Gefühlen von Hoffnungslosigkeit und Schuld verbunden sind, welche eine starke Hemmung der Aktivitäten (Antriebslosigkeit) hervorrufen. Das Erscheinungsbild reicht von vorübergehenden leichten depressiven Verstimmungen bis zu den schweren Formen psychotischer Depression.

Erklärungsmodell "depressive-Struktur" nach Karl König
Eine depressive Struktur entsteht, so Karl König, durch eine Störung der Interaktion zwischen Mutter und Kind in der Nahrungsaufnahme, sowohl auf der materiellen, wie auf der emotionalen Ebene.

Er belegt dies in einigen Beispielen:

  • Das Kind kann liebevoll und lieblos gefüttert werden.
  • Nahrung kann aufgedrängt, oder zu wenig gegeben werden.
  • Das Kind kann gefüttert werden, obwohl es durch sein Schreien zeigen wollte, das es nass ist.
  • Auch Umwelteinflüsse können eingreifen, da diese Beeinflussen, ob die Mutter entspannt, oder gestresst ist.

Diese beschriebenen Einflüsse setzen sich dann weiter fort. So können sich orale Wünsche, welche nicht einfühlsam befriedigt werden auch nicht entfalten. Die oralen Wünsche werden abgewehrt um Enttäuschungen zu vermeiden. Das Ich schützt sich vor Bedürfnissen / Wünschen, die nicht adäquat befriedigt werden. Dem Depressiven fehlt es dann an Initiative, da die erste Aktion eine orale ist, welche ja nie positiv befriedigt wurde. Karl König sagt, dass somit auch jede Initiative einen oralen Kern hat. Die Zurückführung (Reaktion) des Interesses an oralen Angeboten mit den so wichtigen emotionalen Begleiterscheinungen bewirkt so eine Generalisierung, welche bewirkt, das, erlernte Reaktionen auf gewisse Reize übertragen werden. Für die Umwelt könnte der Eindruck der Bescheidenheit entstehen, jedoch verbirgt sich dahinter angestaute orale Gier. Die so, durch orale Frustration entstandene Wut richtet sich gegen die Mutter. Menschen (Objekte) die ähnliche Positionen wie die Mutter bekleiden werden von dem Depressiven nicht angegriffen, da seine Angst diese Person zu verlieren zu groß sein wird! Der Abwehrmechanismus der Introjektion um die Wut/Hass eines Objekts gegenüber in das Selbst/Ich zu verlegen (verlagern). Somit verlagern sich Aggressionen gegen das eigene Selbst. Für die Umwelt sind so oft keine Aggressionen erkennbar.



3.5. Die phobische (zwanghafte) Charakterstruktur

Definition Dorsch: Phobie = extreme Furcht = die zwanghaft auftretende neurotische Symtombildung bei der Angst, ohne wirkliche Gefahr vor bestimmten Situationen oder Objekten.

Erklärungsmodell "phobische (zwanghafte) Struktur" nach Karl König
Die zwanghafte und die phobische Struktur entstehen im selben Zeitraum. Und zwar dann, wenn das Kind beginnt, sich im Raum frei zu bewegen. Das bringt zwei Möglichkeiten mit sich: a. Das Kind macht Schmutz. b. Das Kind könnte sich schaden, sich in Gefahr bringen. Je nach Reaktionen der Eltern kann die Tendenz zur phobischen oder zur zwanghaften Charakterstruktur ausschlaggebend sein.
Dies ist nicht nur die Zeit der Bewegung, sondern auch der Sauberkeitserziehung. Hier kann zum Beispiel der Druck der Mutter entscheidend mitwirken. Der Ehrgeiz der Mutter kann durch ein frühes "Sauber werden" des Kindes befriedigt werden. Ähnlich, wie ein frühes "Laufen- oder Sprechen lernen".
Beispiel: Wenn die Erziehenden Sorge haben, das Kind könne etwas verschmutzen, werden die Erziehenden alles versuchen, dem Kind zu vermitteln "was sauber macht" oder "wie es sauber bleibt".
Beispiel: Aus Angst um das Kind werden alle Gefahr bringenden Aktionen verhindert. Man gibt dem Kind lieber den Keks, bevor es auf den Stuhl klettern könnte, um ihn sich zu holen. Die Möglichkeit aus Versuchen und Irrtümern zu lernen wird genommen.
Wenn Aggressionen, Unordnung und Schmutz durch Strafen sanktioniert werden, kommt es zu einer Blockierung des Unbekümmerten Umgangs mit Dingen und es entwickelt sich eine zwanghafte Struktur.

Die zwanghafte und die phobische Struktur entstehen nicht nur zur gleichen Zeit, sie stellen auch Verarbeitungsformen der gleichen Triebimpulse dar. Es geht um Aggressionen, aber auch um Sexualität. Bei der Zwangsstruktur geht es zusätzlich noch um Schmutz.
Phobisch strukturierte Menschen könnten etwas hergeben, um Zufriedenheit mit dem steuernden Objekt zu suchen. Bei den Zwanghaften wird das z.B. das Geld mit den Ausscheidungen gleichgesetzt. Da Ausscheidungen damals unbewusst als Verlust der Körpersubstanz empfunden wurde. Geld wird dann unbewusst dem Hergeben von Körpersubstanz gleichgesetzt.



3.5. Die hysterische Charakterstruktur

Dorsch: = hysterischer Reaktionstyp, nach Kretschmar, der besonders leicht beeindruckbare Extravertierte, der auf Belastung rasch (ohne Ausdauer), dabei übertrieben ausdrucksvoll (mit demonstrativer Fassade) reagiert.

Erklärungsmodell "hysterische Struktur" nach Karl König
Die hysterische Struktur entsteht in der phallischen und der ödipalen Phase der Entwicklung, also im 3. - 5. Lebensjahr. Karl König sieht "klinik-relevanten" Penisneid besonders bei Frauen, die sich von der Mutter enttäuscht fühlen, wo emotional und oral die Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt wurden, und wo sich die Frauen dann in Hoffnung auf Erfüllung dieser Bedürfnisse, den Vätern zuwenden. Geht der Vater auf diese Wünsche ein, so versucht er auch eigene Beziehungswünsche zu erfüllen. (evtl. solche, die er bei seiner Frau nicht unterbringen konnte) So identifiziert sich die Tochter mit dem Vater, anstatt mit der Mutter. Hier kann die Identifikation auch als Abwehrmechanismus dienen. Nach dem Motto: Wenn ich die andere oder den andern nicht besiegen kann, möchte ich so sein wie sie oder er. Karl König erklärt, dass männlich identifizierte Frauen oft ein großes Leistungspensum abrufen können (möchten) um wie Männer, sehr stark zu sein. Die Identifikation mit dem Vater bringt aber auch ein Problem, diese Identifikation passt nicht zum Körper der Frau. Diese "Männliche Stärke" weckt ein Minderwertigkeitsgefühl bei den Frauen. Sie lehnen Verhaltensweisen ab, die als typisch weiblich gelten. Großes Interesse an Kleidung u.ä., sie wollen jemand sein, mit dem man Pferde stehlen kann. Auch bei der Sexualität meiden sie Situationen, wo es ernst wird, da sie den vergleich mit anderen Frauen scheuen. Dies bezieht sich auf die Mutter, denn es war auch Sache der Mutter mit dem Vater Sex zu haben. Entsprechend gilt dies auch für Männer, die der Liebling der Mutter waren, und den Vater, durch das, was sie zu werden versprachen (o. durch Charme) bei der Mutter ausstachen.
Solche Männer suchen vor allem Akzeptanz bei Frauen, dies gelingt meist nur eine gewisse Zeit und zwar solange, wie es so aussieht, als wären sie ein junger, viel versprechender Mann. Mit 50 sind sie das nicht mehr, sie müssten dann was geleistet haben. Diese Männer sind in ihrer Männlichkeit und ihrer Sexualität sehr unsicher. Sie stellen ihre Potenz in Frage! Sie konnten ihre Potenz ja auch nicht an ihrer Mutter erproben. Wesentlicher Bestandteil dessen, was man gemeinhin als hysterisches Verhalten ansieht, ist ein erotisches Signalverhalten, das nicht erotisch motiviert ist, sondern deshalb eingesetzt wird, weil es schon in der ödipalen Phase bewirkt hat, dass sich der Vater einer von der Mutter enttäuschten Tochter emotional und oft auch oral spendend zuwandte.






4. Beispielhafte Belegung einzelner Charakterstrukturen mit Praxisbeispielen


4.1. Falldarstellung "Sarah" (narzisstisch)

Bevor Sarah (damals 13.6 Jahre alt) vor knapp zwei Jahren in unsere Einrichtung kam, lebte sie ein halbes Jahr in einer anderen Einrichtung. Dort konnte sie jedoch nicht mehr gehalten werden. Diese Einrichtung war für Jugendliche konzipiert, deren erstes Ziel die Verselbstständigung war. Die Struktur dort und auch der Personalschlüssel konnten Sarah nicht den Halt und die Betreuung bieten, die sie brauchte. Sarah wurde wieder auffällig, indem sie ritze, wie schon zuvor, als sie noch zu Hause bei der Mutter lebte. Sarah besuchte in diesem halben Jahr schon die Schule in unserer Einrichtung, was auch, neben ihrem eigenen Wunsch, der ausschlaggebende Grund für eine Unterbringung in unserer Einrichtung war.

Unser Arbeitsauftrag war, Sarah mehr Konstanz für ihre Tagesabläufe (Schule, Interessen) zu geben und einen strukturell festen Tag zu schaffen. Außerdem die Klärung der familiären Situation und die Erschaffung von Strukturen welche eine zügige Rückführung in die Familie ermöglichen. Es gab in der Anfangszeit kaum Probleme, da Sarah sich in aller Deutlichkeit von ihrer Familie distanzierte und es ihr Wunsch war, in dieser Einrichtung zu leben.

Sarah konnte den Luxus wahrnehmen, sich ihren Bezugserzieher selbst auszusuchen, was natürlich auch den Weg für eine größere Mitarbeit ebnete. Es fiel sehr leicht, Strukturen zu schaffen, welche ihre Leistung in der Schule stabilisierten und ihrer Tag straffer und geordneter erscheinen ließen. Jedoch war für uns als Team nicht nachzuvollziehen, dass Sarah immer schlechter über ihre Eltern sprach. Sarah lebte, bevor sie von der Jugendhilfe betreut wurde bei der Mutter und ihrem Lebensgefährten. Außerdem lebte in dem mütterlichen Haushalt Sarahs Bruder, welcher nie in Sarahs Kritik geriet. Ihr Vater pflegte keinen Kontakt zu ihr, was anfänglich auch keine Sorge bereitete. Außerdem gab es noch einen Großelterntag, den Sarah einmal pro Woche wahrnahm. Es machte alles einen gesunden Eindruck.

Nach den ersten Hausbesuchen, die ich ohne Sarah machte, wurde mir Sarahs Verhalten unklar. Sie benahm sich auf einmal so, als wäre sie das einzige Mädchen auf der Welt, das mit einer Scheidung der Eltern leben musste. Sie sprach nun oft schlecht über ihre Mutter. Ich denke, dass sie Angst hatte, dass ihre Ausführungen über den Haushalt der Mutter nicht mehr haltbar waren. Vielleicht war der Wunsch nach Unterbringung ein Druckmittel gegen die Mutter.

Nach dem ersten HPG in dem das Jugendamt schon eine klare Linie in Richtung Rückführung erkennen ließ, brachen bei Sarah alle Dämme. Sie fing an zu ritzen und kokettierte damit. Sie ritze aber nur so, das ihr Erscheinungsbild nicht verschlechtert wurde, also an Stellen, die sie mühelos mit Kleidung bedecken konnte. Lachte sich den einen oder anderen Freund an und gab sich größte Mühe ein Bild von sich zu vermitteln, dass sie ihre Familie nicht mehr braucht. Trotzdem Nahm sie regelmäßig ihre Heimfahrten wahr, um die Situation im Griff und im Auge zu behalten.

Ich gehe davon aus, dass sie das machte, damit ihre Mutter Stellung zu ihr bezog, sie sollte sich über das Desinteresse ihrer Tochter ärgern. Die Zuneigung der Mutter schwand. Die Regelmäßigkeit ihrer Anrufe ließ nach und Sarah gab sich große Mühe, die Streitigkeiten eskalieren zu lassen. Sie fing an den Vater auf einen Thron zu setzen obwohl er kein Interesse an ihr zeigte. Es wurden schlimme Lügengeschichten über ihre Heimfahrten erfunden. Und Sarah bastelte eine Intrige nach der nächsten.

Ich glaube heute, dass wir (Team) anfänglich in eine falsche Richtung agierten. Wir suchten nach einer Problematik mit dem Vater, doch die Situation hatte sich nach einem halben Jahr deutlich gedreht. Die Mutter reagierte kaum auf all diese Ausbrüche von Sarah, was Sarah dazu bewegte ihre Richtung zu ändern. Sie hatte nun größeres Interesse an einer Rückführung. Ich denke Sarah würde alles tun um endlich emotionale Versorgung durch die Mutter zu erfahren. Der Vater ist seit Wochen kein Gesprächsthema mehr gewesen und auch der Stiefvater genießt Anerkennung. Alle Inszenierungen gingen nur darum, die Mutter endlich zu einer Stellungnahme zu bewegen. Jede Lüge, jedes Drama und jede Sorge inszenierte Sarah so, dass die Mutter daran teilnahm. Sarah kränkte Menschen, damit die Mutter endlich reagierte.

Ich halte Sarah für ein Mädchen, mit einer narzisstischen Charakterstruktur. Viele der von Karl König beschriebenen Verhaltensmerkmale und Abläufe lassen darauf schließen. Natürlich fehlt der Einblick in die frühe Kindheit und es ist auch nicht nachvollziehbar ob Sarah von der Mutter nie für wichtig genommen wurde und ob dies von ihr wie eine existenzielle Bedrohung empfunden wurde. Wo Sarah jedoch deutlich als narzisstisch charakterisiert werden kann ist, der große Wunsch nach Bestätigung Auch wenn Sarah Bestätigung bekam, viel es ihr schwer diese anzunehmen. Ähnlich wie von Karl König beschrieben läuft sie der Bestätigung hinterher und kann dies auch nicht lange behalten, nach kurzer Zeit wird sie erneut von Sarah gesucht.

Auch die Beschreibung von Karl König, der dies mit einem Behälter vergleicht, in dem Bestätigung gesammelt werden kann, lässt sich bei Sarah gut nachvollziehen. Vor allem, wenn das Behältnis gefüllt ist, und der Zustand der Erregung eintritt. Die dann eintretenden Omnipotenten Phantasien sind bei Sarah ganz gut mit Größenwahn zu vergleichen. Sie ritzt sich und kann gar nicht mehr wahrnehmen, dass sie sich schadet. Solche Situationen wirken skurril und vorgespielt. Im nächsten Moment ist sie wieder das liebe Mädchen, die alles und jeden im Griff hat. Vor allem die von König beschriebene Erhaltung der Omnipotenz, durch andere Menschen war im Team spürbar.

Reflektiert betrachtet hat Sarah auch uns dafür benutzt, hat unsere Aufmerksamkeit von den anderen Jugendlichen auf sich gezogen. Wir wurden auch, auf unsere Funktion, uns zu sorgen, wenn sie sich ritzt, reduziert. So genoss Sarah das eigen inszenierte Leid und die ganze Gruppe stand Gewehr bei Fuß.

Erst mit der Rücknahme von Aufmerksamkeit, ließ sich mit Sarah arbeiten. Wir konfrontierten sie mit ihren verlogenen Inszenierungen und konnten sie so entwaffnen.



4.2. Fallbeispiel Jan

Die Unterbringung von Jan in unsere Einrichtung geschah vor knapp einem Jahr. Jan ist jetzt zwölf Jahre alt und war für die Mutter im familiären Haushalt nicht mehr zu ertragen. Der Vater trennte sich vor ca. acht Jahren von seiner Familie. Er legte keinen Wert auf weitere Kontakte zu den Familienmitgliedern. Es gibt einen zwei Jahre älteren Bruder. Die Beziehung zwischen den Brüdern ist nicht gut, weil Jan der Sündenbock für alle Probleme ist. Die Mutter, bat um die Unterbringung von Jan, weil sie mit der familiären Situation überfordert war sie konnte die Aggressionen Jans, die gegen sie gerichtet waren, nicht mehr ertragen. Der Vater hält ausschließlich, aber auch unregelmäßig, Kontakt zu Jans Bruder Mark. Er empfindet Jan als nervig, unnormal, frech und anstrengend. Die Großeltern kümmern sich auch nur um Mark. Er ist der Auserwählte, der mit ihnen in den Urlaub fliegt und besondere Aktivitäten unternehmen darf.

Jan machte am Anfang einen orientierungslosen und melancholischen Eindruck. Er wirkte traurig und war schnell aggressiv. Er hat große Probleme sich an Regeln zu halten und steigert seine Frustration so, das er ausrastet, sein Zimmer verwüstet und teilweise auch Verletzungen davonträgt. Auch in der Schule konnte er dem Leistungsdruck nicht standhalten. Sich messen lassen und eine Wertung zu erfahren, kann Jan nicht ertragen. Die Kontakte in den Heimfahrten ließen schnell ermitteln, dass er nur mit seinem Bruder spielt um zu prügeln, konkurriert um festzustellen, wer der Stärkere ist. Ansonsten sucht Jan auch in der Heimfahrt schnell das Weite. Er hält sich viel bei Landstreichern auf und sucht nach Orten, wo sich Menschen sammeln dessen Existenz zerstört scheint. Nachdem Jan sich an Struktur und Regeln der Gruppe gewöhnt hatte schwand zwar die Orientierungslosigkeit, aber sonst änderte sich nichts. Jan fing an sich als Superheld darzustellen. Zerbrach aber schnell an gewissen Leistungen, die er sich durch seine Darstellung selbst auferlegte. Dann wurde er sehr schnell wieder traurig und er konnte seinen eigenen Anblick nicht ertragen. Nach solchen Momenten war auch die Frustrationstoleranz so gering, dass mit Ausrastern zu rechnen war. Der niedrige Selbstwert stellte Jan so in Frage, dass der Ursprung der Schulverweigerung auch hier zu suchen ist.

Die Erfahrung, in der Familie nicht gewollt zu sein, spiegelt sich in seinem Verhalten. Schon in frühester Kindheit wird er einen großen Mangel an Zuneigung und Bedürfnisbefriedigung erfahren haben. So das sich seine Charakterstruktur depressiv entwickelt hat. Er ist ständig um eine Aufwertung seines Selbst bemüht.

Ausgehend davon, dass Probleme in der Mutter Kind Beziehung während der oralen Phase waren, wie in der Erklärung zur depressiven Charakterstruktur dargestellt, kann ich mir gut vorstellen, dass die Mutter die Bedürfnisse von Jason nicht erkannte. Sie berichtete oft, wie schwierig und stressig ihr ganzes Leben war, und das sie immer alles alleine mit den Kindern machen musste. Dies lässt sich auch dadurch belegen, dass die Mutter, Jan als unerträglich erlebte. Die Beziehung zur Mutter hält sich zum Teil dadurch, dass Jan Angst hat, die Mutter zu verlieren. Mit Blick auf den gegangenen Vater ist das zuviel für Jan.

Wenn wir die von Karl König gegebene Aussage nehmen, dass die angestaute orale Gier Grund für die Frustration gegen die Mutter ist, kann Jan gut verstanden werden. Es gibt viele Situationen, in denen Jan seine Frustration nicht zur Sprache bringen kann, z.B. Im Telefonat mit der Mutter nicht verstanden wird und den Hörer einfach in die Gabel knallt. (Können sicher gut Parallelen gezogen werden) Ich denke, dass die mangelnde Bedürfnisbefriedigung in der oralen Phase auch die Heimfahrten regelmäßig scheitern lässt. Die Aggressionen von Jan gegenüber der Mutter sind so groß, dass er wie schon beschrieben, die Wohnung verlässt. Der Abwehrmechanismuns der Introjektion ist bei Jan ähnlich gut zu erkennen, wie der der Verleugnung. Die Introjektion bietet durch die Verlagerung der Wut ins Ich (gegen sich selbst) eine Erklärung für die ganzen Aggressionen auch gegen sich selbst. Ich denke, dass Jan sich so auch immer wieder in seiner Minderwertigkeit bestätigt sieht. Doch um diese vom Ich übernommenen Aggressionen bewältigen zu können, glaube ich, dass bei Jan der Abwehrmechanismus der Verleugnung in Kraft tritt. Er macht gewisse Wünsche in denen er sich besser positioniert sieht real. In dem er sie erzählt und versucht sie durch sein Handeln zu belegen. Wie schon erwähnt ist er bemüht sich aufzuwerten. Das Aufwerten der schlechten Gefühle im Ich macht seine Situation für ihn erträglicher.






5. Wurmser "Die Scham"

Ich möchte nur eine kurze Beschreibung über die Scham und ihre Affekte geben, da die Komplexität dieses Themas sehr gewaltig ist. Außerdem lege ich die Wichtigkeit hier auf den Bezug zur Praxis und die Darstellung eines Falls. An der Vorausgegangenen Erläuterung über Jan (3.3) möchte ich festhalten. Hier denke ich, dass die Scham auch eine besondere Wichtigkeit hat.

Im Dorsch wird die Scham als eine Reaktionsform zum Erleben des Bloßgestelltseins des Schuldigseins und des Versagthabens definiert. Die Scham ist ein Teil der Affekte, welche vom Über-Ich hervorgerufen werden. Schamaffekte sind die Dinge, deswegen man sich schämt (z.B. das Versagen in Situationen der Rivalität - Demütigung). Daraus werden auch Abwehrmechanismen folgen um mit der Scham umzugehen.

L. Wurmser stellt dies als eine Wandlung von Passiv in Aktiv dar. Als Beispiel: Man erfährt Demütigung und reagiert so, das man sein Gegenüber verspottet und Lächerlich macht, so dass die Blicke von einem Selbst abgelenkt werden. Außerdem beschreibt er die Scham auch als einen Deckaffekt, bei dem der Ursprung dann nicht zu sehen ist. Hier werden Ängste wie, Kastrationsangst von der Scham bedeckt. Die Sexualität spielt so eine ganz entscheidende Rolle in der Scham (Bloßstellung - Genitalien werden gesehen - Angst dem Konkurrenzkampf nicht gewachsen zu sein usw.).



5.1. Fallbeispiel Jan

Auch bei Jan hatten wir in der Einrichtung anfänglich das Problem der Schul und Leistungsverweigerung. Was sich verstärkte. Dieser Leistungsabbau ist meiner Meinung nach die logische Konsequenz auf das Verhalten der Mutter, der Mitschüler und Erzieher. Wie deutlich von L. Wurmser beschrieben, bringt nur der Erfolg Stolz und das Versagen die Scham. Jan schämt sich, seine Mitschüler machen sich über ihn lustig und seine Mutter gibt ihm keine Anerkennung für das Geleistete. Z.B. berichtet er stolz, dass er eine Woche nicht der Klasse verwiesen wurde. Dies wird von der Mutter aber als Selbstverständlichkeit gesehen.

Auch in Jans Freizeit ist zu beobachten, dass er unter dem Leistungsdruck (z.B. Wer ist der Schnellste - Wer springt am Höchsten) zu leiden hat. Hier kann die von L. Wurmser beschriebene aktive Scham ins Spiel gebracht werden. Jan ist schnell aggressiv und fängt an seine Kumpels zu beleidigen und sich über sie lustig zu machen. Er gibt sich große Mühe, den Fehler- machenden abzuwerten. So ist natürlich Jan aus der Kritik und ist in diesem Moment nicht in Frage gestellt. Auch seine Sexualität spielt hier eine wichtige Rolle. Er empfindet dies auch al eine Infragestellung seiner Männlichkeit, das er deutlich merkt, dass er in der Rivalität zu anderen Jugendlichen unterliegt. Woran festgemacht werden kann, dass ein Erleben der Scham, ein peinliches Gefühl sein kann, welches ein Verlust zur Beziehung zu sich selbst verbirgt. Die Kastrationsangst wird in solchen Erlebnissen sicherlich wachsen. Jan wird von der Gruppe kastriert, als letztes Glied in der kette gewertet. Anspruch und Wirklichkeit gehen hier weit auseinander. Über die Wutausbrüche Jans lässt sich interpretieren, dass die Scham es ist, die ihn weglaufen lässt. Den Verlauf von Jans Heimfahrten hatte ich schon beschrieben. L. Wurmser sagte, dass bei dem Kontrollverlust tiefe Scham erlebt wird. Eine Parallele kann hier bei den Streitigkeiten mit der Mutter in den Heimfahrten gesehen werden. Er schämt sich für das Geschehene und geht den Blicken der Mutter aus dem Weg. Spannend hier bleibt der Abwehrmechanismus der Introjektion (3.3). Wurmser sagte: Ich nehme das Urteil und die Bestrafung von anderen in mich hinein. Jan möchte sich dann, wenn ich von den Aussagen Wurmsers ausgehe, vor sich selbst verstecken. So stellt Jan fest, dass die Lücke zwischen dem was er ist und dem, was er von sich erwartet gigantisch ist. Die Erwartung / Kritik der Scham ist nun ins Über-Ich aufgenommen.






Reflexion

Die Aufgabenstellung für diese Arbeit, mich mit theoretischem Grundwissen zu befassen und zu schauen, was ich damit in meinem Beruf als Erzieher anfangen kann, war kein Zufall. Ich hatte mich eigentlich weitgehend davor gedrückt in der Fachliteratur nachzulesen. Grundwissen durch ein gesprochenes Wort und anhand von praktischen Beispielen zu erlernen ist für mich spannend, es mir aus Büchern zu erarbeiten, wollte ich zunächst nicht wirklich. So musste ich erst meine Startschwierigkeiten überwinden. Es war aber dann so, dass ich, je länger ich mich einlas und einarbeitete, an Sicherheit gewann und einige Zusammenhänge sehen konnte. Damit möchte ich nicht sagen, schon alles verstanden zu haben. Mein größtes Problem ist die Komplexität der Thematik. Einzelne Theorien sind sicherlich schnell verstanden, aber nun möchte ich mich auf den Weg machen, den sexualpädagogischen Ansatz mit seinen psychoanalytischen Theorien, in meine Arbeit einzubauen.






Quellenangabe

Die Maske der Scham / L. Wurmser

Kleine psychoanalytische Charakterkunde / Karl König

Psychologie des Unbewussten / S. Freud

Liebesbeziehungen / Otto F. Kernberg

Psychologisches Wörterbuch / Dorsch

Kleines Wörterbuch der Psychoanalyse / Thomas Achter / Laura Viviana Strauss

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