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Sabine Kudraß-Schmidt

"Mütter fordern, Väter flirten"

Die Beziehung von Eltern und Erziehern im Elementarbereich aus sexualpädagogischer Sicht


Abschlussarbeit Sexualpädagogik Oktober 2003



Inhalt






Einleitung

Die Sexualpädagogik beschäftigt wie Menschen miteinander in Beziehung kommen, oder warum keine Beziehung zu Stande kommt.

Biologische Vorgänge, Inhalte aus Psychologie, Soziologie und Pädagogik werden verknüpft um die komplizierten und komplexen Verhaltensmuster der menschlichen Spezies transparent zu machen.

Bei meinem Arbeitsfeld im Elementarbereich setzte ich mich vorrangig mit dem kindlichen Verhalten auseinander. Allerdings wurde mir in der Ausbildung immer deutlicher, dass auch das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern den Alltag in einer Kindertagesstätte genauso nachhaltig beeinflussen.

In welche Beziehungsgeflechte sind Eltern, ihre Kinder und Erzieher täglich miteinander verstrickt? Warum entstehen trotz guter Organisation Konflikte, die oft hoch emotional sind?

Um diesen Konflikten mehr Verständnis entgegenbringen zu können möchte ich in meiner Abschlussarbeit den Fokus auf die Beziehung von Eltern und Erziehern richten. Zuvor möchte ich die unterschiedlichen Rollenstrukturen der Eltern, Kinder und Erzieher beleuchten und welche Aspekte wirksam werden.






1. Der Stellenwert der Sexualität in der Pädagogik

Der Pädagoge soll Menschen erziehen, begleiten, betreuen, leiten und bilden.

Hierfür soll er theoretische Kenntnisse aus der Psychologie in die Praxis umsetzten, Wissen über biologische Vorgänge mit einbeziehen und Vorraussetzungen schaffen, das dies alles im soziologischen Kontext geschieht.

Die dafür nötigen theoretischen und praktischen Kenntnisse werden von Fach- oder Hochschulen und zahlreichen Veröffentlichung in Wort und Schrift in immer wieder neu entwickelten Theorien publiziert.

Zu den zu vermittelnden Kompetenzen zählt natürlich auch die Sexualität, weil ja gerade sie unsere menschliche Natur am meisten prägt, nur findet der Pädagoge gerade in diesem Bereich wenig Material. Meist handelt es sich um Fach- oder Sachbücher mit Erklärungen zu biologischen Vorgängen, wie Empfängnis, Schwangerschaft, geschlechtsspezifische Unterschieden oder brisante Themen wie den sexuellen Missbrauch.



1.1. Die systemischen Kommunikationsmodelle

Wäre die Pädagogik in ihren Grundsätzen um die Sexualität erweitert, würde es vorrangig um das Verstehen von menschlichen Beziehungen gehen. Es werden auch immer wieder neue Möglichkeiten entwickelt, um Beziehungsgeflechte sichtbar zu machen. Die Pädagogik der systemischen Lerntheorie hat in den letzten Jahren versucht Kommunikation erlernbar zu machen. Sie entwickelte Hilfen zum Verständnis und Modelle in denen zielgerichtete Interaktion erlernbar sein soll.

Die Arbeit des Sozialpädagogen/Erzieher besteht im Wesentlichen aus Beziehungsarbeit, aber dieser Bereich wird in der Ausbildung kaum geschult. Im Laufe seines Berufslebens entwickeln so die meisten ihrem Charakter entsprechend Lösungsmöglichkeiten für diverse Problematiken, anstatt professionelle Kommunikationskompetenzen zu erlernen. In den letzten Jahren haben sich einige Hilfen zur Kommunikation etabliert. Möglichkeiten, wie verbale Kommunikation gelenkt und strukturiert werden kann. Einige Beispiele hierfür sind: Das Sender-Empfänger-Modell und die 4 Aspekte einer Nachricht (F. Schulz v. Thun 1981), die zwei Ebenen einer Nachricht (P. Watzlawick 1985), das aktive Zuhören und partnerschaftliches Konfliktmanagement (Gordon 1992), das Johari Fenster (K. Doppler, Ch. Lauterburg 1995) und andere. Systemische Kommunikationsmodelle bemühen sich, neben dem verbalen auch die nonverbalen Signale der zwischenmenschlichen Beziehungen zu ergründen.

Sie zeigen deutlich, wie komplex Kommunikation ist. Obwohl diese Methoden in der Praxis angewandt auch eine Hilfestellung sein können, ermöglicht die Psychoanalyse eine tiefergehende Betrachtungsweise der zwischenmenschlichen Beziehungen, weil sie die unbewussten Anteile eines Menschen mit einbezieht.



1.2. Sexualpädagogik und die Psychoanalyse

Seit 100 Jahren versucht die Psychoanalyse Siegmund Freuds unser Wissen in diesem Bereich zu erweitern. Der zukünftige Pädagoge lernt die Phasen der psychosexuelle Entwicklung kennen (orale, anale, ödipale Phase, Latenz, Pubertät, Adoleszenz und genitale Phase) und das die menschliche Psyche laut Freud bewusste und unbewusste Anteile hat.

Mit viel Glück wird auch noch die Libido, also der Sexualtrieb des Menschen, erwähnt.

Freud wird viel zitiert, aber selten im Original gelesen oder gelehrt. Sein Bestreben die Psychologie um den Aspekt der Sexualität zu erweitern ist bis heute nicht gelungen.

Freud beschreibt in seiner "Seelenzergliederung", unter anderem die intrapsychischen Vorgänge des Bewussten und Unbewussten, die Funktion des Widerstandes und der Verdrängung, die Objekttheorie, die Funktion des Ödipuskomplexes und das Phänomen der Übertragung (Siegmund Freud, Gesammelte Werke).

Hier eröffnen sich dem Sexualpädagogen auf seiner Suche nach Verständnis von menschlichem Verhalten ganz neue Dimensionen.



1.2.1. Die Psyche des Menschen

Laut Freud setzt sich die menschliche Psyche aus Ich, Es und dem Über-Ich zusammen. Dem Ich werden die meisten bewussten Anteile zugesprochen, im Es vereinen sich die Triebe, die dem Unbewussten zugerechnet werden. Im Über-Ich vereinen sich moralische Aspekte, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens für sich als bedeutsam erlebte.

Die Triebwünsche des Es werden durch das Über-Ich "gefiltert" damit sie vom Ich ins Bewusstsein integriert werden können. Diese Integration von Triebwünschen ins Bewusstsein begleitet uns alle ein Leben lang und löst permanente Konflikte in uns aus.

Das Unbewusste wird vom Prinzip Lust/Unlust gesteuert. Eindrücke aus der Umwelt werden mit intrapsychischen Impulsen so verknüpft, dass mit dem wenigsten Aufwand ein Lustgewinn erzielt werden kann. Kinder äußern noch ziemlich unverholen Freude, Trauer, Hunger, Durst, Müdigkeit, Langeweile, Spannung oder Angst. Auf vielen Menschen wirken Kinder unbedarft und natürlich, sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf, ohne Rücksicht auf Folgendes. Das Kind lebt seine unbewussten Anteile noch stark. Der Triebverzicht muss erst lernt werden. Erwachsene sind im Kontext ihrer Familien und der Gesellschaft sozialisiert worden. Sie haben sich mit ihrer Individualität weitest gehend angepasst aber trotzdem ist der Umgang miteinander oft schwierig und mit vielen Konflikten behaftet, denn die unbewussten und bewussten Anteile der menschlichen Psyche wirken ein Leben lang (siehe Siegmund Freud, Gesammelte Werke Bd. 13).



1.2.2. Der Widerstand und die Abwehr

Wie schon beschrieben, steht der Lustmaximierung von Triebwünschen oft die Realität im Weg. Das Ich hat alle bewussten Werkzeuge des Lebens zur Verfügung um Gefahren/Impulse, die aus der äußeren Welt einwirken oder vom eigenen Gewissen/Über-Ich ausgelöst wurden, abzuwehren. Die unbewussten Anteile versuchen durch Widerstand und Abwehr den Zustand des Konfliktes erträglicher zu machen. Sie setzen Abwehrmechanismen ein, die sich in jeglicher Form von Angst und Affekten der Unlust äußern. Verdrängung, Verleugnung, Inszenierung, Idealisierung, Vermeidung, Projektion, Identifizierung, Isolierung und Regression sind Beispiele für diesen Vorgang (siehe L. Wurmser, Die Maske der Scham).

Diese Phänomene sind uns aus dem Alltag geläufig. Jeder hat sich schon beim Lügen ertappt, seine Kräfte überschätzt oder den Kontakt zu einer Person vermieden. Nicht immer wird beim Einsatz der unbewussten Auswahl des Abwehrmechanismus deutlich, welcher Lustgewinn hier zu Grunde liegen soll. Oft genug scheint der Mensch eher unter seinen Handlungen zu leiden. Anstehende Probleme werden meist lieber beklagt, als das Kraft und Zeit zur Lösung genutzt würden. Dem Wort Leidenschaft wohnt genau dieses Phänomen inne. Es wird in Verbindung mit der Liebe zu einem andern Menschen, Beruf oder Hobby benutzt. In ihm wird die Lust deutlich, die im Leiden steckt. Nicht alles was uns auf den ersten Blick negativ scheint, erfüllt den Tatbestand der Unlust. Abwehrmechanismen sollen den schweren Weg der Integration der eigenen Triebwünsche in ein gesellschaftsfähiges, individuelles Wesen umgehen, indem vermeintliche Abkürzungen gewählt werden. Leider schaffen sie oft nur kurze Erleichterungen. Die wesentlichen Konflikte zeigen sich im Leben eines Menschen in veränderter Form immer wieder, bis eine wirkliche Lösung zustande kommt.



1.2.3. Das Phänomen der Übertragung

In der Übertragung findet man beides, sowohl den Widerstand als auch das Abgewehrte.
(Zitat H. Racker, Übertragung und Gegenübertragung 2002)

Der lebenslange Prozess der Integration der Triebbedürfnisse fordert eine permanente Auseinandersetzung. Die Psyche gibt dazu Gelegenheit, indem sie "Neuauflagen" alter Konflikte schafft. Der Mensch sucht sich neue Protagonisten für alte Beziehungsgeflechte, erschafft sich Projektionsflächen um Machtkämpfe oder Ohnmacht neu zu inszenieren. Der Widerstand will die unbewussten Anteile schützen, deshalb setzt die Psyche Abwehrmechanismen ein. Bei der Übertragung kann aber gleichzeitig am Konflikt gearbeitet werden, obwohl die eigenen unbewussten Anteile verdeckt bleiben. Im Alltag scheinen uns und definitiv fremde Personen vertraut, ähneln Verwandten, Bekannten oder Freunden. Sympathie und Antipathie leiten uns, ohne dass wir eine Erklärung dafür hätten. Der Sündenbock oder das schwarze Schaf in der Familie sind Beispiele für negative Übertragungen, der Glückspilz für die positiven. Wie sehr wir diese Übertragungen verinnerlichen, zeigt das Beispiel vom Tollpatsch, dem trotz eigenem Vermögen immer wieder erneut Dinge zu Bruch gehen, weil er sich selbst mit der Rolle identifiziert. Eine Besondere Form der Übertragung ist die projektive Identifikation oder Gegenübertragung. Das Gegenüber lässt sich von den Gefühlen des andern beeinflussen. Jemanden, der einen an einen bösen Menschen erinnert, wird man vielleicht provozieren, so dass er sich wirklich böse verhält (siehe K. König 1999). Bei der Gegenübertragung weiß der andere um das Phänomen und ist sich seiner "gemachten" Gefühle bewußt, z.B. beim Setting in der klassischen Psychoanalyse.



1.3. Die Entwicklung des Charakters

Was sind denn nun eigene Anteile der Psyche, welche sind im Laufe unserer Sozialisation auf uns projiziert und verinnerlicht worden? Wie erkennen wir uns selbst mit unseren bewussten und unbewussten Anteilen? Ganz wesentlich sind die individuellen genetischen Anlagen, die es uns ermöglichen in einer für uns ganz eigenen psychischen und physischen Weise mit der Umwelt zu kommunizieren. Schon ganz früh werden jedem von uns Eigenschaften zugeordnet. Während ein Säugling häufig weint, scheint der andere im Schlaf sein Glück zu finden. Diese Eigenschaften bilden sich im Laufe des Lebens zu den charakteristischen Merkmalen eines Menschen aus. Sie zeigen seine individuelle Erlebnis und Verhaltensweise. (siehe K. König 1999). Die in den ersten 5 Lebensjahren gemachten Beziehungserfahrungen legen den Charakter in seinen Grundzügen fest. Die vier archetypischen Strukturen werden von Fritz Riemann in seinem Buch "Grundformen der Angst" erstmals detailliert beschrieben. Die hysterische, depressive, zwanghafte und schizoide Struktur will menschliches Verhalten erklären. Karl König fügt in seinem Buch "Kleine psychoanalytische Charakterkunde" noch die narzisstische und phobische Struktur hinzu.

Jede Struktur bringt zum Ausdruck welche unbewussten Abwehrmechanismen ein Mensch bevorzugt, um mit seinen Impulsen aus dem Inneren adäquat um zu gehen. Die pädagogische Fachkraft tritt im Elementarbereich mit Menschen in Beziehung, die ihre wesentlichen Charaktereigenschaften schon lange erworben haben und solchen, die diese Phase gerade durchleben. Nicht zu vergessen ist die eigene Charakterstruktur und die der anderen pädagogischen Fachkräfte. Alle sollen/wollen miteinander in Beziehung kommen, um ihre diversen Anliegen auszuleben.



1.4. Das Individuum und die Macht

Macht ist ein Merkmal sozialer Beziehungen.
(O. König, Die Macht in Gruppen)

Menschen "machen" etwas miteinander und auch hier spielt das Unbewusste eine große Rolle. Das Wort Macht ist in unserem Kulturkreis negativ besetzt, obwohl es seinem Ursprung nach das Können/Vermögen eines Menschen beschreibt (Quelle: Dorsch, Psychologisches Wörterbuch) Der Machtmissbrauch scheint uns allen deutlicher als die alltäglichen Aspekte von Macht, vielleicht weil gerade sie uns so vehement an der Umsetzung unserer Triebbedürfnisse hindert. Das Kleinkind erlebt Macht und Ohnmacht vom ersten Schrei an. Es ist seiner Umwelt völlig ausgeliefert, da es allein nicht lebensfähig ist. Der Säugling fordert seine Bedürfnisse, welche die Bezugsperson erfüllt oder auch nicht. Eltern mögen hier an die ersten "Machtkämpfe" mit ihrem Nachwuchs denken, wenn das schreiende Baby seinen Forderungen Nachdruck verleiht, die Eltern aber vielleicht lieber weiterschlafen möchten. Schon in der Mutter-Kind-Dyade und später in der Kleinfamilie ist die Bandbreite der möglichen Formen und unbewussten Anteile von Macht so groß, das sie uns selten ins Bewusstsein dringen. Abhängig von den "gemachten" Beziehungserfahrungen entwickelt jeder seine individuelle Orientierung zur Macht. Zwang, Belohnung, Strafe, Lob sind Aspekte, aber auch Konkurrenz, Kooperation oder Normen und Regeln. Letzteres macht deutlich, dass in Gruppen der Umgang mit Macht eine notwendige Aufgabe ist. Wer nimmt wie Einfluss oder welche Regeln setzten sich durch? (O. König, Macht in Gruppen)



1.5. Die Sexualpädagogik im Elementarbereich

Im Elementarbereich sollen Kinder ganzheitlich gefördert und gefordert werden, in dem das päd. Personal Human,- Sach -und Lebenskompetenzen vermittelt. Tageseinrichtungen für Kinder werden laut GTKG/NRW familienergänzend tätig, das heißt auch zu den Eltern der betreuten Kinder sollte ein intensiver Kontakt gepflegt werden. Auch hier spielt die Sexualität eine große Rolle, nur wird dies in unsere heutige Gesellschaft ausgeblendet. Über biologische Vorgänge sollen Kinder frühzeitig gebildet werden. Ihr Selbstbewusstsein soll gestärkt werden, damit sie keine Opfer von sexueller Gewalt werden. Das Kinder bereits nach der Geburt in die erste Phase ihrer sexuellen Entwicklung kommen ist längst bekannt, aber das sie deshalb als sexuelle Wesen betrachtet werden müssten, fällt offensichtlich schwer. Legen wir die voran gegangenen Ausführungen zu Grunde, wird deutlich, dass die sexualpädagogische Betrachtungsweise, dem Pädagogen wesentlich hilft. Konflikte können anders beleuchtet werden, es bieten sich andere Lösungsmöglichkeiten oder es kann eine andere Verständnisweise entwickelt werden, die nicht auf Resignation beruht.



1.6. Eltern und Kinder, eine ganz besondere Beziehung

Kinder sind aus der genetischen Symbiose ihrer Eltern entstanden. Daraus ergibt sich logischer Weise eine Ähnlichkeit, die sich in Physis und Psyche zeigt. Wie viel Anteil die Genetik zu dieser Ähnlichkeit beiträgt, wissen wir heute noch nicht. Die Psychologie bietet noch eine andere Erklärung für dieses Phänomen. Kinder und Eltern verbindet lebenslang eine ganz besondere Beziehung, die keiner andern gleicht, weil das Kind den Eltern und ihren unbewussten Einflüssen vollkommen ausgeliefert ist und diese Anteile in seine eigene Persönlichkeitsbildung einfließen (siehe Eckstaedt/Klüwer 1980). Manchmal scheinen die Kinder den Eltern "wie aus dem Gesicht schnitten", das andere Mal sind es eher persönliche Eigenarten, die zum Vergleich anregen. Was Eltern oft in besonderer Weise zu schaffen macht, sind die an sich selbst ungeliebten Anteile, die sie wieder zu erkennen glauben. Eltern fühlen sich oft in ihren Kindern gespiegelt, was unterschiedliche Emotionen in ihnen auslöst. Stolz, Wut, Hoffnung, Ohnmacht, sind nur einige Beispiele für die vielfältigen Gefühle. Manche Eltern berichten von schicksalhaften Lebenswegen, die sie in ihrer Angst, auch schon für ihre Kinder voraussehen, weil sie ähnliche Verhaltensweisen zeigen, die zuvor dem betreffenden Elternteil auch zum Verhängnis wurden. Als Vater und Mutter bringen beide Elternteile ihre geschlechtsspezifischen Rollenverhalten und ihre Charaktereigenschaften in die Beziehung zum Kind mit ein. Das Kind wird so geprägt durch die erste Kleingruppe seines Lebens, die Familie. Kommt das Kind in den Kindergarten lernt es eine neue Gruppe und neue Autoritäten kennen. Vielleicht zum ersten Mal wendet es sich emotional einem Menschen außerhalb der Familie zu. Auch die Eltern machen eine neue Erfahrung, sie bekommen erzieherische und emotionale Konkurrenz.






2. Typisch männlich; typisch weiblich

Mit diesen Aspekten zwischenmenschlicher Beziehungen möchte ich nun den Alltag einer Kindertagesstätte beleuchten. Im Besondern die Beziehung der Eltern/pädagogisches Personal. Die meisten Konflikte werden darauf zurückgeführt, dass sich hier der pädagogischer Profi und Laien begegnen. Das Erzieherteam hat Pädagogik erlernt und Eltern agieren/erziehen aus ihren Werten und Normen heraus. Oft sind die Elternteile auch pädagogisch ausgebildet, so dass sich quasi "Kollegen" gegenüberstehen. Aber auch hier lösen die unbewussten Anteile Konkurrenz und Aggressionen aus, die sich in Widerstand und Abwehr zeigen. Welche Möglichkeiten schafft sich das Unbewusste um Macht und Ohnmacht zu inszenieren und gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede dabei. Die zuvor im ersten Teil aufgeführten theoretischen Grundlagen, die um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen nur eine grobe Zusammenfassung sein können, sollen nun mit Beispielen aus der Praxis belegt werden.



2.1. Die Konkurrenz als Phänomen der Macht

Eltern und Erzieher werden von den Kindern gleichermaßen als Autoritätspersonen wahrgenommen. Deshalb ist es für sie oft verwirrend, wenn beide gleichzeitig anwesend sind. Im Kindertagesstättenalltag sind dies der Abschied und die Widerbegegnung am Nachmittag, der Kochdienst der Eltern, Feste und Feiern. Die Übergabe der Aufsichtspflicht wird mit dem Fachbegriff "Tür und Angelgespräch" bezeichnet. Erzieher und Eltern tauschen Informationen aus, das Kind verabschiedet sich von seinem Elternteil und beginnt seinen Tag in der Kindertagesstätte. In diesen Momenten, in denen aus Sicht aller Beteiligten, die Machtverhältnisse nicht genau geklärt sind, weil nicht deutlich ist wer jetzt das "Sagen" hat, benehmen sich Kinder oft auffällig anders. Sie spielen "Versteck", wenn die Eltern sie abholen wollen. Versuchen durch "Belagerung" der Eltern ein Gespräch mit der Erzieherin zu unterbinden oder werden ohne Grund plötzlich quengelig, albern herum oder brechen wegen Kleinigkeiten in Tränen aus. Oft wollen sie "flüchten" oder "trödeln" beim Aufräumen und verzögern den Abschied aus der Kita auf andere Weise. Regeln aus dem KiTa-Alltag werden überschritten oder Vereinbarungen aus der Stammfamilie auf die Probe gestellt. Nicht immer ist die Situation dramatisch, aber Macht und Ohnmacht der Eltern und Erzieher spiegeln sich oft in dem "schlechten Gewissen" wieder, welches beide Parteien auf Nachfrage formulieren. Die Eltern haben plötzlich Schwierigkeiten sich zu verabschieden oder entschuldigen sich beim Kind mit bedrückter Miene, wenn sie erst spät am Nachmittag zum Abholen kommen. Teilweise sprechen sie über ihr "schlechtes Gewissen" mit anderen Elternteilen, im Beisein ihrer eigen Kinder. Das pädagogische Personal will sich erklären, wenn das Kind den ganzen Tag fröhlich gespielt hat und dann beim Anblick der Eltern in Tränen ausbricht. Sich nur noch von ihnen trösten lässt und den Erzieher keines Blickes mehr würdigt. Auffällig ist hier das Unterschiedliche Verhalten bei einer Situation zwischen gleichgeschlechtlichen oder heterogenen Personen (z.B. Tochter/Mutter oder Sohn/Tochter). "Große Gefühle" finden sich meist bei den heterogenen Beziehungen, die anderen trennen sich zwar auch herzlich, aber meist ohne Dramatik. Auffällig ist auch das verkürzte Tür und Angelgespräch, wenn die Väter ihre Kinder in die KiTa bringen. Natürlich werden die einzelnen Szenen auch von den einzelnen Charakteren bestimmt.



2.2. Der Widerstand im Fokus des Alltags

Die allgegenwärtige Konkurrenz äußert sich im Alltag in diversen Widerständen auf Seiten von Eltern und pädagogischem Personal. Eine der häufigsten Situationen ist das nicht Einhalten von Verabredungen. Im systemischen Ansatz wird hier die Komplexität von Kommunikation für Störungen verantwortlich gemacht. Die Psychoanalyse spricht von Widerständen. Reglementierungen von Seiten der Erzieher stoßen bei manchen Eltern auf taube Ohren. Bei Nachfrage warum es zum Beispiel zu wiederholten Verspätungen kommt, werden kuriose Geschichten erzählt (Wir haben verschlafen! Das Auto sprang nicht an! ). Erzieher "vergessen" Informationen weiter zu leiten oder bejahen Forderungen von Elternseite, führen sie aber nicht durch. Weil offene Aggression im Elementarbereich nicht ins Bild passt, werden sie verdeckt ausgetragen. Eltern benehmen sich plötzlich wie ihre Kinder und auch beim pädagogischen Personal wirkt die Spiegelung des Klientels.



2.2.1. Die Regression

Dieser Rückfall in frühere Erlebniswelten zeigt sich in Kleinigkeiten. Eine Mutter forderte eine "schöne" Weihnachtsfeier für die ganze Familie, die aber vom pädagogischen Team ausgerichtet werden sollte. Eltern und Kinder sollten als "Gäste" kommen, die Pädagogen sollten "versorgen". Ein Vater überraschte die Gruppenleitung, als er im Türrahmen kniend (sich also zum Kind machte) fragte: "Ob er auch "hier" bleiben dürfte?" Bei Streitigkeiten benutzen Pädagogen wie Eltern oft pubertäre Verhaltensweisen. Statt Konfrontation wenden sie sich gekränkt ab, sind beleidigt oder "zahlen mit gleicher Münze heim". Hierbei zeigen sich Väter weniger Streitlustig als Mütter. Väter oder männliche Erzieher neigen beim "Mitspiel" mit den Kindern dazu sich mit ihnen Gleichzustellen. Hier vergessen sie beim Fußballspiel, ihre eigenen Kräfte an die der Kinder anzugleichen und schießen z.B. viel zu fest oder lassen den Ball beim "Hochschuss" in die Dachrinne krachen. Oft schieben die Eltern ihre Kinder vor, wenn es um Konfliktsituationen geht, anstatt als Erwachsener die Verantwortung für die Szene zu tragen. "Wir sind zu spät, weil ... beim Anziehen getrödelt hat."Gerade bei unsicheren Eltern zeigt sich oft ein Rollentausch, wenn es um die Bedürfnisse des Kindes geht und die Eltern sich ein schlechtes Gewissen machen. Die Kinder sind plötzlich die Bestimmer der Szene, lassen sich bedienen oder fordern und die Eltern reagieren kleinmütig. Eine Situationen eskalierte so weit, das das Kind seinen eigenen Vater beschimpfte und ihn durch Tritte attackierte. Der Vater reagierte aber nicht verärgert sondern hilflos. Statt zu reagieren bat er die "allwissende" Gruppenleitung zu schlichten.



2.2.2. Die Idealisierung

Die Gruppenleitungen, die ja aus Sicht der Eltern den intensivsten Kontakt zu ihrem Kind haben, werden oft zum Ziel von Projektionen, positive wie negative. Auf der einen Seite wird sie als "Profi" zur Allwissenden stilisiert, durch die Konkurrenzsituation muss sie deshalb aber auch "klein" gemacht werden. Mütter holen sich "professionellen" Rat für die private Kindererziehung oder wollen sich in ihrem pädagogischen Tun bestätigen lassen. "Zu Hause räumt ... nie auf. Wie kriegst Du das nur hin?" "Ich bewundere deine dicken Nerven, bei so einem Krach Tag täglich!"

In der Gesellschaft werden die professionellen Pädagogen meist noch mit "Kindergärtnerinnen" betitelt. Was den liebevollen, harmonischen Umgang mit den zu "pflegenden" Kindern anklingen lässt, damit sie im Wachstum "gedeien"können. Aggressionen sind hier nicht erwünscht und auf Nachfrage bei den Eltern, müssen Erzieher in erster Linie "freundlich" sein. So missfällt eine schlechtgelaunte Erzieherin, und natürlich hinter der vorgehaltenen Hand, wird der Unmut bei der nächsten Mutter darüber zum Ausdruck gebracht. Eigenschaften die dem Bild der "Kindergärtnerin" entsprechen, werden gelobt. Gleich einem Fels in der Brandung er- trägt die Gruppenleitung das tägliche Chaos in der Kindergruppe mit einem Lächeln auf den Lippen. Und weil die meisten Pädagogen sich selbst auch als "Opfer" sehen, fühlen sie sich bei solchen Äußerungen von Elternseite bestätigt und idealisieren sich selbst, statt an der Lösung des "chaotischen" zu arbeiten.



2.2.3. Die Isolierung

Eine andere Form von Widerstand ist die Isolierung, hier wird der Affekt abgespalten. Intellektualisierung und Verallgemeinerungen gehören dazu. Diese Möglichkeiten werden von Eltern wie Pädagogen verwand, um "durch die Blume" Bedürfnisse weiter zu geben. Angesichts der Komplexität von Kommunikation kommen diese Informationen aber nur selten so an, wie der "Sender" sie gemeint hat. Missverständnisse sind also vorprogrammiert. Trotzdem wird gerade diese Form von Widerstand unter Erwachsenen mit höherer Schulbildung bevorzugt. Dem individuellen Ärger über eine Situation aus dem Alltag, wird zum Beispiel nicht in der Szene geklärt, sondern mit einem Elternabend zum Thema "Aggression" zum Ausdruck gebracht. Gossensprache zur Äußerung von Aggressionen werden von Eltern wie Erziehern mit Unmut aufgenommen. Etwaige Entgleisungen werden sofort korrigiert. Offene Aggression wird entweder ausgeblendet oder die Erwachsenen mischen sich als Streitschlichter ein, weshalb die Kinder oft "petzten", statt ihre Konflikte unter ihresgleichen zu klären. Reagiert der Erzieher eher gelassen auf streitende Kinder, sind es anwesende Eltern, die sich in die Situation einmischen. Mir scheint die Angst, das Aggression zwangsläufig zu Gewalt führen muss ist hier sehr groß, also wird das Gefühl abgespalten und die Situation "versachlicht". Nach dem Motto: "Man kann doch über alles reden!" Hier konnte ich keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen feststellen. Zwanghaft strukturierte Menschen diesen Widerstand zu bevorzugen, während vorwiegend hysterische eher zur Inszenierung neigen.



2.2.4. Die Vermeidung, Verleugnung und Verdrängung

Auch sie sind uns allen als Formen des Widerstandes geläufig, wenn der Fokus auf die entsprechende Szene gelegt wird. Um die direkte Konfrontation zu vermeiden, werden Verhaltensweisen oft einfach ausgeblendet, oder der Betrachter wendet sich absichtlich ab um nicht eingreifen zu müssen. Wenn Eltern zum Beispiel gegen vereinbarte Regeln verstoßen, wir dies nicht wie bei den Kindern von den Erzieherinnen sofort angesprochen, sondern gern an die Leitung weitergegeben. Bei Nachfrage, wer vom Personal gesehen hat, ob Eltern z.B. Lebensmittel aus der Küche mitgenommen haben, verneinen die meisten, obwohl ihrem geschulten Blick sonst nichts entgeht. "Doktorspiele" der Kinder werden gar nicht wahrgenommen. Eigene Verhaltenweisen werden ausgeblendet, ähnliche bei Kolleginnen aber strengstens kritisiert. Väter schieben die Verantwortung für ihre private Pädagogik gern auf die Mütter, wenn die Erzieherinnen sich mit Fragen dies bezüglich an sie wenden. Mütter übernehmen die Verantwortung grundsätzlich und verteidigen zum Teil die Flucht ihrer Männer mit Nachsicht. "Mein Mann muss ja bis spät abends arbeiten und am Wochenende braucht er ja auch mal seine Ruhe! "Wenn Väter Verabredungen "vergessen", bleiben sie bei den Ausreden meist freundlich und "flirten" schon mal, bevor die Erzieherin vielleicht noch wütend wird. Eine sehr beliebte Form ist gerade bei den Vätern der zusätzliche Einsatz von Regression. Sich zum kleinen Buben machen und mit kindlichen Charme, die Erzieherin um den Finger zu wickeln. Bei den Müttern kommen sind es auch schon mal zu "Ablenkungsmanövern", die Aggression binden soll, aber sie reagieren auch schon mal heftiger. Oftmals mit anderen Forderungen. "Ich finde es möglich, hier vor meinem Kind zur Rede gestellt zu werden. Ich konnte mein Versprechen nicht einhalten, weil ... am Wochenende krank war. Und wo wir hier gerade zusammen stehen, wollte ich Dich fragen, ..." Die Realität nicht sehen zu wollen, betrifft Männer wie Frauen, nur ist ihre Umsetzung von Widerständen meist different. Auch die Konstellation der Personen beeinflusst die Szene nachhaltig. Heftige Auseinandersetzungen zwischen Vätern und Erzieherinnen, die sich vielleicht noch lautstark im Flur der Kindertagesstätte zeigen, sind eher selten. Wobei es bei zwischen Erzieherin und Mutter schon eher mal "ernst" wird. Dagegen kann ich mich an eine Szene zwischen einem männlichem Praktikant und einem Vater noch lebhaft erinnern, die zu einer offenen Form der Auseinandersetzung führte, beteiligt waren aber zwei männliche Protagonisten. Der Anerkennungspraktikant war seit 3 Wochen in der Einrichtung und stapelte zum Sommerfest mehrere Stühle vor dem Küchenfenster übereinander. Ein Kind kletterte auf dieselben und stürzte, allerdings ohne Verletzungen. Der Praktikant eilte herbei und schimpfte, aus Unsicherheit mit dem Kind. Der Vater war nicht ganz so schnell, hatte aber die Szene komplett verfolgt. Als er dann beim Küchenfenster ankam und seinen Sohn getröstet hatte, beschimpfte er den Praktikanten aufs Heftigste. Der Praktikant blieb für den Rest des Tages lieber im Hintergrund, Vater und Sohn feierten Sommerfest. Die Stühle fort geräumt hat aber keiner der Beteiligten! Sich zum Beispiel möglichst unauffällig zu kleiden wäre demnach eine Vermeidung. Diese Form von Entsexualisierung von Frauen ist uns ja allen aus den Weltreligionen bekannt. Weibliche Attribute werden verhüllt, aber in unseren Breitengraden nicht mit dem Schleier. Ein vielleicht als zu groß empfundener Busen wird in weiten Pullovern versteckt, Kleider und Röcke werden als "unpraktisch" deklariert. Zumindest sind Miniröcke oder tiefe Ausschnitte in der Kindertagestätte eher selten zu sehen. Bei der genaueren Betrachtung wird deutlich wie sich das Unbewusste eines jeden Menschen in "Szene" setzt. Meist eben in einen größeren Kontext verwoben, so dass wir die eigentlichen Beweggründe nicht mehr erkennen können. So bezeichnet die Psychoanalyse dieses Phänomen als "Inszenierung".



2.2.5. Die Inszenierung

Wenn Erwachsene mit bedrückter Miene und hängenden Schultern durch die Kindertagesstätte schleichen und auf Nachfrage beteuern, dass es ihnen gut ginge, hat der Beobachter gerade die Gelegenheit, einer Inszenierung beizuwohnen. Die meisten Widerstände werden in eine Szene verpackt, dem Inszenierenden ist dies ja nicht bewusst. Die Leidende signalisiert, nicht noch mehr Arbeit aufgeladen zu bekommen. Die Erkrankte, die sich zur Arbeit schleppt, um dann dort die Krankheitssymptome vorzuleben, möchte vielleicht ihre Opferbereitschaft zeigen. Eine Inszenierung, die der Konkurrenzsituation entspringt, ist die Erniedrigung. Ein Vater meldete sich bei einer Elternversammlung zu Wort, als über die Kompetenzen einer Erzieherin diskutiert wurde. "Die ...... meint auch, sie wäre super, nur weil sie blond ist und Gitarre spielen kann." Ein anderer Vater (von Beruf Lehrer) korrigierte eigenmächtig einen von der Erzieherin gefertigten Aushang (schön deutlich) und teilte ihr dann mit, dass ihr ein Rechtschreibfehler unterlaufen sei. Mütter und Erzieherinnen setzten ihre Konkurrenz meist nicht so offen in Szene. Hier wird sich hinter dem Rücken gern lustig gemacht, wenn "Frau" sich auffällig benimmt oder kleidet. Mir ist ein Fall bekannt, bei dem die Leitung einer Einrichtung mehrfach abgemahnt wurde, weil sie bei der Arbeit Stöckelschuhe trug. Die Kinder könnten verletzt werden, falls sie mal daneben treten würde. Ihr Minirock war auch Stein des Anstoßes, aber für ein Verbot gab es keine plausible Erklärung. Die eigentlichen Probleme kamen nie zur Sprache. Die Eltern der Schulanfänger verabschieden sich oft mit Querulanz, kommen auffällig oft zu spät, "vergessen" Absprachen, wollen aber intensive Tür-und-Angelgespräche, um ihre Neuigkeiten los zu werden. So dass man das Gefühl bekommt, sie wollen ihre Anwesenheit noch einmal verstärken, bevor sie die Tagesstätte für immer verlassen. Oder sie brechen noch kurz vor dem Abschied einen banalen Streit vom Zaun, damit der Abschied nicht so schwer fällt. Tränen gibt es meist von den Müttern, aber nie von den Kindern. Bei manchen Vätern zeigen sich bei späteren Besuchen sogar Machtansprüche an bestimmte Erzieherinnen, wenn diese ihnen nicht genug Aufmerksamkeit schenken. ".... hatte doch versprochen, sich mal zu melden!", oder sie klopfen beim Abschied noch mal an die Fensterscheibe (die Kinder machen dies) obwohl sie sich direkt verabschiedet haben. Die meisten Inszenierungen lassen sich wohl beim direkten Zusammentreffen von Eltern, Kindern und Erziehern beobachten. Wie zuvor schon erwähnt ist hier die Macht und Ohnmacht ja am meisten zu spüren. Väter wie Mütter stehen mit ihrem weinenden Kind im Flur und warten darauf, ihr Kind aus ihren Armen direkt in die nächsten geben zu können. Ein Vater wartete solange, bis die auserwählte Erzieherin erschien. Diese wiederum wollte keine direkte Konfrontation, aber wollte auch nicht, dass das Kind sich nur auf sie fixierte, und zeigte sich immer gerade dann unabkömmlich ("Ich bin kurz zur Toilette!"). Eine besondere Form der Inszenierung ist die Übertragung, die uns auch allen täglich begegnet, ohne dass wir es bemerken.



2.2.6. Die Übertragung

Die häufigsten Übertragungen des Alltags sind Projektionen aus der Kindheit eines jeden einzelnen. Konflikte mit Vater und Mutter, oder anderen Autoritätspersonen. Wenn erwachsene Personen sich verspäten und anstatt die Verantwortung für die Szene zu übernehmen sich "verweigern" oder vielleicht "regredieren", versuchen sie dem Gegenüber ein Gefühl zu "machen". Gelingt dies, spricht die Psychoanalyse von einer Übertragung.

Besonders deutlich wird dies, wenn Formen der Aggression ins Spiel kommen. Der Zuspätkommende zeigt keine Reue sondern macht der Erzieherin Schuldzuweisungen, obwohl sie gar nicht gegen eine Regel verstoßen hat und in ihrer Machtlosigkeit nun auch noch ein schlechtes Gewissen bekommt. Das pädagogische Personal ist im Alltag logischerweise Projektionsfläche, an der die Kinder ihre Autoritätskonflikte abarbeiten können, aber eben auch für andere Erwachsene, Teammitglieder, Vorgesetzte und Eltern.

Wenn Kinder sich im KiTa-Alltag verletzt haben, steht ja immer im Raum, ob die Aufsichtspflicht gewährleistet war. Das Unbewusste möchte die Machtfrage dieser Szene geklärt haben. Die Eltern waren zu diesem Zeitpunkt "machtlos" und haben deshalb ein schlechtes Gewissen. Der pädagogische Mitarbeiter war vielleicht "machtlos", weil er/sie an diesem Tag aus welchem Grund auch immer eine Unachtsamkeit begangen hat oder auch nicht. Treffen diese beiden Parteien am Nachmittag aufeinander und das verletzte Kind setzt sich vielleicht noch selbst in "Szene", kann sich jeder ausmalen, wie laut es dort "knallen" kann. Besonders "haarig" wird die Situation, wenn sich Kinder gegenseitig verletzten.

Biss und Kratzwunden liefern sichtbare Spuren, die auch noch Stunden später Anlass zu spektakulären Auseinandersetzungen liefern können. Wenn der Pädagoge im Vorfeld seine "Gefühle" zu dem Vorgang klären kann, ist er/sie für die Übertragungen der Eltern meist nicht mehr so empfänglich. Empathie ist eines der wesentlichsten Handwerkzeuge der Pädagogen, wahrscheinlich sind sie deshalb auch so empfänglich für Übertragungen. Klatsch und Tratsch werden in "wichtige" Informationen gemengt und schon gibt der Pädagoge "schlaue Ratschlägen zur Erziehung", ohne zu merken, dass ein Elternteil eigentlich nur sie/ihn für sich vereinnahmen wollte. Ängste, Sorgen, Betroffenheit, Stolz oder Freude - im Tür- und-Angelgespräch haben die pädagogischen Mitarbeiter meist ein Ohr für alles. Der Erzieher fühlt sich zunächst als "Kapazität" angenommen und stellt nach einiger Zeit fest, dass seine "Ratschläge" gar nicht beachtet wurden oder dass auch andere Erzieher zum gleichen Thema befragt wurden. Ein Indiz dafür, dass eine Projektion eine "Übertragungsfläche" gefunden hatte. Der Pädagoge war Teil einer Inszenierung und hat diese, ohne es zu merken, aktiv mitgestaltet. Er/Sie hätte ja auch beim Tür-und-Angelgespräch auf der reinen Informationsübergabe bestehen können, freundlich aber bestimmt für ein intensiveres Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt verweisen können. Umgekehrt verwickeln die Pädagogen die Eltern gern in intensive Gespräche, wenn sie ein schlechtes Gewissen haben. Oder sie versuchen den Eltern ein schlechtes Gewissen zu machen, um die eigenen Machtansprüche nicht formulieren zu müssen. Der Verdacht, dass der andere es sich nur bequemer machen will, ist auf beiden Seiten täglich zu spüren. Aus der Übertragung den Widerstand heraus zu filtern und vielleicht in die Gegenübertragung, also der Bewusstwerdung der "gemachten" Gefühle zu kommen, ist im Moment der Szene dem Laien nicht möglich. Wertvoll ist schon die Erkenntnis, dass zum Beispiel bei aggressiven Projektionen nicht er/sie selbst gemeint ist, sondern andere Intentionen dahinter stecken. Reagiert das Gegenüber nicht mit Rollenklarheit, sondern mit Gegenaggression oder dem Gefühl, das ihm/ihr "vermittelt" wurde, bleibt am Schluss das Gefühl, "benutzt" worden zu sein. Männer wie Frauen wenden diese Form der menschlichen Kommunikation an, nur haben im Elementarbereich mehr Frauen miteinander zu schaffen, deshalb erscheint es uns, als wäre dies eine feminine Art des Widerstandes.



2.3. Der Einfluss des Charakters

Wie intensiv Übertragungen und Inszenierungen empfangen und in Szene gesetzt werden, hängt, wie im ersten Teil beschrieben, stark von den Charaktereigenschaften der agierenden Personen ab. Vorwiegend hysterisch strukturierte Menschen schaffen explosionsartige Situationen beim Elternabend. Ein Problem eines einzelnen Kindes wird dramatisiert und in der Übertragung auf die ganze Gruppe projiziert. Innerhalb kürzester Zeit scheint die Apokalypse unabwendbar und eine Lösung über Jahre nicht in Sicht. Am nächsten Morgen wird das eigene Kind, trotz dieser "unhaltbaren" Zustände in die Kindertagesstätte gebracht und in die Obhut der "unmöglichen" Erzieherin ... übergeben, als wäre der gestrige Abend gar nicht existent. Wenn das eigene Kind nicht optimal versorgt scheint, wird die Leitung in Bewegung gesetzt, damit dem Kleinen auch die zweite Portion Pudding nicht vorenthalten werden kann. Ausmaße von "Massenhysterie" zeigen sich immer dann, wenn es um die akute Gefährdung von Leib und Seele des Nachwuchses gehen könnte.

Läuse, Windpocken oder "Seuchen" anderer Tragweite könnten das Leben ihrer eigenen Kinder gefährden. Nachdem man sich bei dem pädagogischen Personal lauthals über die damit verbunden Sorgen ereifert, gehen die betroffenen Eltern nach Hause und überlassen die Regelung der angefachten Diskussionen der Erzieherin, die dann die restlichen Eltern erst einmal wieder beruhigen darf. Hat die Erzieherin eine andere Charakterstruktur, wird sie diese Verhaltensweisen nicht nachvollziehen können. Wohl möglich nimmt sie diese Auswüchse völlig unbegründeter Ängste auch noch ernst und beginnt sich damit verbal auseinander zu setzten. Hat die Gruppenleitung eher eine schizoide Struktur und lässt den Kinder gern den für sie so notwenigen Freiraum, wird sie ständig mit zwanghaften Eltern in Konflikt geraten, die für sich und ihre Kinder mehr Struktur wollen. Die zwanghafte Gruppenleitung muss sich den Vorwurf der Überbehütung vorwerfen lassen, von allen denen, die eher schizoid strukturiert sind. Die vorwiegend depressive Pädagogin wird zwar als naiv eingestuft, aber als liebevoller mütterlicher Typ sehr geschätzt. Für Sorgen und Probleme ist sie das gefundene Fressen. Suchen Vater oder Mutter eine würdige Partnerin im Streit um Prinzipchen, werden sie nicht bei ihr fündig. Sie hat Verständnis für alles.

Narzisstische Strukturen finden sich bei Pädagogen im sozialen Bereich eher selten, gelegentlich in der Elternschaft. Das durchsetzten von eigenen Normen und Werten ist dann meist wichtig, die Inszenierung der eigenen Person, deshalb finden sich diese Menschen meist im Vorstand, oder Elternrat wieder.



2.4. Die Konkurrenz von Eltern und Erziehern

Im ersten Teil wurde unter 1.6. auf die besondere Beziehung des Kindes zu seinen Eltern eingegangen, nun sollen diese Personengruppen näher beleuchtet werden. Anspruch und Wirklichkeit bringen Eltern und Erzieher im Alltag oft in merkwürdige Situationen. Erzieher beschweren sich häufig über hohe Ansprüche, die von Elternseite gefordert würden. Sie wären ja schließlich nicht allwissend, oder hätten 8 Arme und 4 Ohren etc. Werden ihnen aber Informationen, die aus ihrer Sicht bedeutungsvoll sind vorenthalten, reagieren sie mit Unmut. Im Grunde würden sie doch gerne möglichst viele Details wissen, um mit dem Kind adäquat umgehen zu können. Aus meiner Sicht spiegeln sich hier die unterschiedlichen Machtansprüche wieder. Wer versorgt hier das Kind optimal und wer ist der bessere Pädagoge. Welche Werte und Normen werden sich im Kind manifestieren? Wer weiß was für das Kind das Beste ist? Wo hört die Fürsorgepflicht des pädagogischen Personals auf und wo beginnt sie. Eltern mischen sich in die Pädagogik der Tagesstätte ein, aber Erzieher rühren auch in der privaten Pädagogik des Elternhauses. Auf Unverständnis stoßen Eltern bei den Pädagogen immer, wenn sie sich nicht um Defizite ihrer Kinder kümmern, Situationen herunterspielen oder ihre Kinder erkrankt zur Kindertagesstätte bringen. Alles was aus Sicht der Erzieher negativ auf das Kind und die tägliche Arbeit mit ihm einwirkt, soll von den Eltern schnellstens "behoben" werden. Das diese vielleicht ähnliche Defizite haben und sie deshalb von ihnen als nicht so problematisch angesehen werden oder eben aus anderen Gründen verdrängt und nicht wahrgenommen werden, ist für den Pädagogen unverständlich. Was aus Elternsicht für ihr Kind unabdingbar ist, bleibt für den Pädagogen manchmal eher zweitrangig, zumal der Pädagoge sich 18 Kindern widmen muss und nicht nur einem einzelnen. Statt Professionalität bestimmen individuelle Toleranzgrenzen, eigene Werte und Normen oft die Szene. Eltern und Erzieher bleiben immer in der Konkurrenz und jeder für sich muss in seiner Beziehung zum betreffenden Kind adäquat reagieren. Dafür lassen sich leider keine genauen gemeinsamen Richtlinien festlegen.

Elternabende zu pädagogischen Themen verlocken gerade zum direkten Vergleich, der genau betrachtet immer hinken muss. Wenn Kinder in der Tagesstätte ohne murren ihr Spielzeug aufräumen oder beim gemeinsamen Mittagessen Dinge essen, die sie zu Hause niemals anrühren würden, lassen sich diese Verhaltensweisen nur aus der Szene heraus klären und nicht durch einen Vergleich wie hätte "Erzieher X" diesen "Fall" gelöst. Unsichere Eltern warten bei Elternabenden oft auf "Erziehungsfahrpläne" für ihr Kind und Pädagogen fühlen sich aus meiner Sicht oft "bauchgepinselt", wenn sie als Erziehungsexperten zu Rate gezogen werden. Spätestens wenn der Pädagoge merkt, das seine guten "Ratschläge" gar nicht befolgt werden, kommt der Verdacht auf, das die pädagogische Frage vielleicht nur dem "Smalltalk" dienen sollte. Der Pädagoge fühlt sich wieder einmal nicht ernst genommen, ist gekränkt oder zweifelt an seinen Fähigkeiten. Letzteres dominiert bei weiblichen Erzieherinnen, während männliche Pädagogen eher den Eltern die Unfähigkeit zum Verständnis unterstellen. Väter stellen eigene Methoden der Erziehung nicht öffentlich in Frage oder beklagen ihr "schlechtes Gewissen". Mütter zeigen sich gern leidend, aber gleichzeitig stolz darauf ihr ausgewähltes Leben "meistern" zu können.



2.5. Die Psychoanalyse im pädagogischen Alltag

Bei den meisten Menschen stoßen Argumentationen mit analytischen Aspekten sofort auf Widerstand. Das die menschliche Psyche eines Menschen aus unbewussten Anteilen bestehen soll, macht ja jeden ein Stück weit unberechenbar und kann somit Ängste auslösen.

Der sexualpädagogische Ansatz will zunächst nur menschliche Verhaltensweisen transparent machen. Der Pädagoge darf sein Gegenüber nicht nur zum Gegenstand seiner analytischen Betrachtung verkommen lassen. Unabdingbar für ein "Verstehen" ist der Aufbau einer stabilen Beziehung, die immer eine professionelle bleiben muss. Der Pädagoge sollte sich bewusst machen, dass er/sie eine Projektionsfläche ist, an der das Klientel seine Konflikte abarbeiten darf. Er/Sie muss für Rollenklarheit sorgen, für sich und für das Klientel.

Die theoretischen Grundlagen aus dem ersten Teil bergen viele Informationen, mit denen sich logische Erklärungen für menschliche Kommunikation finden lassen. Weil sich aber jeder selbst der nächste ist, sollte jeder Pädagoge mit seinen Überlegungen über das Unbewusste im pädagogischen Alltag mit seinem eigenen beginnen. Wo sind eigene Widerstände und welche Widerstände gehören zu meiner Taktik? Wann spiegelt sich das Klientel in mir wieder, so das ich mich z. B. wie ein Teenager oder Kleinkind benehme? Welche Charakterstrukturen erwecke ich zum Leben und wann bin ich Opfer oder Täter? Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik lässt vieles "Unverständliches" klarer werden, aber trotzalledem bleibt der Mensch ein konflikthaftes Wesen. Bei aller Sehnsucht nach Harmonie bleiben Aggressionen und ihre Integration in die eigene Persönlichkeit im Kontext der Gesellschaft ein wesentlicher Bestandteil von pädagogischer Arbeit. Gerade wenn man sie aus sexuelpädagogischer Sicht betrachtet.






3. Quellenangabe

Doppler/Ch. Lauterburg: Joharifenster aus: Change Management, Verlag Campus

Dorsch: Psychologisches Wörterbuch, Verlag Hans Huber

Eckstaedt/Klüwer: Zeit allein heilt keine Wunden, Verlag Suhrkamp

Freud, Siegmund: Gesammelte Werke Band X111, Verlag S. Fischer

Moskal: Gesetz für Tageseinrichtungen für Kinder für NRW, Verlag Kohlhammer

Gordon, Thomas: Die Familien Konferenz, Verlag Heyne

König, Oliver: Die Macht in Gruppen, Verlag Pfeiffer bei Klett-Cotta

König, Karl: Kleine psychoanalytische Charakterkunde, Verlag Vandenhoek & Ruprecht

Racker, Heinrich: Übertragung und Gegenübertragung, Verlag Ernst Reinhard

Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, Verlag Ernst Reinhard

Schulz v. Thun, Fr.: Miteinander reden Band 1, Verlag rororo

Watzlawick, Paul u.a.: Zwei Ebenen einer Nachricht aus: Menschliche Kommunikation, Verlag H.Huber

Wurmser, Leon: Die Maske der Scham, Verlag Springer

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