Zum vorigen Beitrag Zur Übersicht Fachforum Zum nächsten Beitrag
Anne Horstmann

Geschlechtsspezifische Instrumentenwahl bei Frauen

Instrument und Persönlichkeit


Abschlussarbeit im Rahmen der sexualpädagogischen Zusatzausbildung 2002/2003



Inhalt






Einführung

Der Wunsch ein Instrument zu spielen entspringt dem menschlichen Grundbedürfnis nach künstlerischer Betätigung. Kunst ist ein "Ausdrucksventil" für die vielfältigen, auf das Individuum einströmenden Eindrücke. Sie stillt kurzfristig die menschliche Sehnsucht nach dem "Absoluten", denn im künstlerischen Schaffen erlebt sich der Mensch als eins mit seinem Tun.
J. Chasseguet-Smirgel beschreibt in dem Buch "das helle Antlitz des Narzissmus" die künstlerische Schöpfung als "normalen" Prozess der Idealisierung, der aus dem Wunsch entsteht, die menschliche Begrenztheit zu überwinden und die Trennung von Ich und Ich-Ideal aufzuheben. Dies wird als Bereicherung des Ichs erlebt und unterstützt seine Reifung. Zitat S. Freud 1914: "... der Mensch will die narzisstische Vollkommenheit seiner Kindheit nicht entbehren;...er sucht sie in der neuen Form des Ich-Ideals wieder zu gewinnen. Was er als Ideal vor sich hin projiziert, ist der Ersatz für den verlorenen Narzissmus seiner Kindheit, in der er sein eigenes Ideal war."
In die Wahl des Instrumentes fließen sowohl das Selbstbild des Spielers (sei es Wunsch oder Wirklichkeit) als auch Faktoren wie Status, Machtansprüche und Rolle in der Gruppe ein, denn Musizieren bietet außerdem die Möglichkeit mit anderen Menschen in Kontakt zu treten: entweder im gemeinsamen Instrumentalspiel oder in der Beziehung des Interpreten zu seinem Publikum. Es ist ein Unterschied, in einer Bigband Posaune zu spielen oder am Klavier alleine einen Solo-Abend zum Besten zu geben.
Dabei sind die meisten Instrumente "mehrdimensional". Das Violoncello z.B. bietet die Möglichkeit, Solist (autonomer Einzelkämpfer), Stimmführer (Gruppenleiter) oder "Tuttischwein" (nicht identifizierbarer Teil des Ganzen) zu werden. Dennoch wird die Entscheidung für das Instrument von der Identifikation mit einer dieser Rollen beeinflusst sein, denn das Instrument wird zur Verlängerung der eigenen Persönlichkeit.
Ökonomische, wirtschaftliche, kulturelle oder pragmatische Aspekte können bei der Instrumentenwahl natürlich auch den Ausschlag geben, z.B. Anschaffungskosten, Platzbedarf, Grundlautstärke, Neigung und Vorliebe für eine bestimmte Art der Tonerzeugung, Anfangsalter, sozialer und kultureller Hintergrund, Akzeptanz des sozialen Umfeldes etc. Doch nach meinen Beobachtungen ermöglicht die Komplexität der meisten Instrumente in diesem Fall häufig, mit dem "unfrei" gewählten Instrument trotzdem die gewünschte Rolle einzunehmen. Ein Beispiel dafür ist die von mir interviewte Kontrabassistin (4.1).
Unter Umständen kann so sogar eine Erweiterung des instrumentalen Rahmens entstehen, und es kommt zu Pioniertaten wie Solo-Abenden auf der Posaune oder der Blockflöte im Jazzensemble.

Im ersten Teil meiner Arbeit stelle ich die instrumentspezifischen Aufgabenfelder und Rollenmöglichkeiten exemplarisch dar. Ich unterteile hierzu in Instrumente innerhalb und außerhalb des Orchesters.
Das zweite Kapitel behandelt die historische Situation und spezielle Problematik weiblicher Instrumentenwahl im 18. und 19. Jahrhundert.
Im dritten Kapitel untersuche ich den männlich/weiblichen Schüleranteil im Instrumentalunterricht heute anhand einer aktuellen Erhebung, die ich an der Musikschule Dortmund durchgeführt habe.
Das vierte Kapitel enthält zwei Interviews mit ausübenden Musikerinnen, die jeweils ein Orchesterinstrument bzw. ein Nicht-Orchesterinstrument spielen. In der Auswertung versuche ich, den Zusammenhang von Instrument und Persönlichkeit zu verdeutlichen.






Kleine Soziologie der Instrumente
Möglichkeiten und Aufgaben im Zusammenspiel



1.1. Orchesterinstrumente

Im 18. Jahrhundert bildete sich die klassische Orchesterformation heraus. Sieht man von gewissen Vergrößerungen innerhalb der Stimmgruppen im 19. Jahrhundert ab, ist diese Struktur bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben. Damals unpopuläre Instrumente (wie z.B. Blockflöte oder Gambe) oder noch nicht erfundene Instrumente (wie z.B. Saxophon) haben deshalb keine Gelegenheit gehabt, sich im Orchester zu etablieren.

Das Orchester ist ein Klangapparat, indem - je nach Größe - zwischen siebzig und einhundertzwanzig Musiker beschäftigt sind. Es hat streng hierarchische Strukturen, die auch notwendig erscheinen, um eine gewisse Effektivität zu gewährleisten und die Komplexität der Beziehungen innerhalb der Orchesters zu reduzieren. Natürlich wird trotzdem von Zeit zu Zeit dagegen rebelliert und nach alternativen Strukturen gesucht, z.B. versucht die Bremer Kammerphilharmonie basisdemokratisch zu arbeiten und lässt die Streicher innerhalb ihrer Stimmgruppen rotieren.
Die besonders machtvollen Positionen im Orchester gründen sich auf zwei Faktoren: die Legitimation durch ihr Amt und die situative Kontrolle über eine Gruppe während der Arbeit (siehe Stimmführer).

Die einzelnen Instrumente werden in Stimmgruppen zusammengefasst:

  • Streicher
  • Bläser (Binnendifferenzierung Holzbläser und Blechbläser)
  • Schlagzeug und Harfe

Die Streicher sind die größte Stimmgruppe im Orchester und ganz vorne um den Dirigenten gruppiert. Sie bilden fünf Untergruppen. Erste und zweite Geigen sind zusammen mit den Bratschen (auch Viola genannt) die sogenannten "hohen Streicher". Die "tiefen Streicher" bestehen aus Celli und Kontrabässen. Jede dieser fünf Untergruppen ist mit mehreren Spielern besetzt, die die gleiche Stimme spielen und zwar zu Zweit aus einem Pult. Um eine möglichst große Homogenität des Klanges zu erreichen, werden die Bogenstriche in jeder Gruppe vom Stimmführer bestimmt und synchron ausgeführt.
Der Stimmführer hat eine Sonderrolle, er sitzt am ersten (vorderen) Pult, gibt der Gruppe die Einsätze und spielt eventuell anfallende Soli. Er bestimmt die Bogenstriche der Gruppe und schreibt oft auch die Dienstpläne. Er verdient deutlich mehr Geld als der Rest der Gruppe, die man "Tuttischweine" nennt. ("Tutti" ist das musikalische Gegenteil von "Solo" und bedeutet "alle"). Von diesen wird hohes Anpassungs- und Reaktionsvermögen verlangt, die Gruppe soll klingen " als ob nur ein Einziger spielt". Dies geht mit einem Verzicht auf künstlerische Autonomie und Selbstdarstellung einher; das Sozialprestige der Tuttisten ist entsprechend gering. Allerdings werden sie auch um ihren geringeren Leistungsdruck beneidet, denn sie können sich in ihrer Gruppe "verstecken".
Die ersten Geigen haben die Oberstimme im Streicherapparat; sie dürfen meist die tragenden Melodien spielen, fallen also besonders auf. Daher auch die Redensart "die erste Geige spielen zu wollen". Der Stimmführer der ersten Geigen ist der sogenannte "Konzertmeister", er führt den gesamten Streicherapparat an und nimmt nach dem Konzert den Händedruck des Dirigenten stellvertretend für das ganze Orchester entgegen.
Die Stimmen der ersten Geigen sind oft technisch besonders anspruchsvoll, daher ist ihr sozialer Status höher als der der zweiten Geigen. Diese spielen quasi die Rolle der "kleineren Schwester". Ihre Stimmen sind nicht unbedingt einfacher, aber weniger exponiert; die Tonlage ist die gleiche, ordnet sich aber den ersten Geigen unter.
Die Bratschen sind die Ostfriesen des Orchesters. Das hat historische Gründe: In der Klassik bestand ihre Aufgabe überwiegend in langweiligen Füllstimmen, so dass weniger begabte Geiger mit großen Händen, die im Orchester keine Chance gehabt hätten, gerne das Instrument wechselten und auf der Bratsche reüssierten. Erst im Verlauf des 19.Jahrhunderts wurde die Bratsche auch als Soloinstrument landfein. Sie hat einen tieferen, wärmeren Ton als die Geige und ist auch im Streichquartett unverzichtbar. Doch trotz virtuoser Sololiteratur ist das Image geblieben, ganze Staatsarbeiten sind den unzähligen Bratscherwitzen gewidmet worden. Bratscher gelten als faul, dumm und begriffsstutzig. Sie werden beneidet und geneckt, dennoch kann man nicht ohne sie auskommen.
Die Violoncelli sind der virtuose Tenor der Streichergruppe. Sie haben ebenso begleitende wie melodietragende Stimmen. Sie verfügen über einen großen Tonumfang und haben vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Ihre Stimmen sind meist interessant und technisch anspruchsvoll.
Die Kontrabässe werden als einzige Streichinstrumente im Stehen gespielt und sind etwas abseits am vorderen Orchesterrand hinter den Celli positioniert. Sie bilden das klanglich wichtige, aber meist unauffällige Fundament der Streicher. Aufgrund der Größe des Instrumentes und der langen Wege am Steg ist der Kontrabass nicht so virtuos wie das Cello. Er wird als sperriger, ruhigerer Vertreter der Streichergruppe manchmal belächelt, aber auch geachtet.

Die Streicher sind die Arbeitstiere im Orchester. Sie haben die meisten Töne zu spielen und sind fast ständig in Aktion. Sie müssen eng kooperieren, genießen aber - mit Ausnahme des Stimmführers - nicht den Solistenstatus der Bläser, sondern gelten als fremdbestimmt und angepasst.
Außerhalb des Orchesters finden sich Streicher gerne zu Streichquartetten oder -Quintetten zusammen (2 Geigen, Bratsche, Cello manchmal erweitert durch ein zweites Cello oder Kontrabass). Es gibt auch vielfältige Möglichkeiten zur Kammermusik in kleinen Besetzungen, mit Klavier, mit Bläsern etc. Der Kontrabass hat sich außerdem als einziges Streichinstrument im Jazz fest etabliert.
Alle Streichinstrumente bieten virtuosen Spielern auch die Möglichkeit, sich als Solisten vor dem Orchester zu produzieren, dies gilt besonders für Geige (man denke an den legendären "Teufelsgeiger" Paganini) und Cello. Die meisten Streicherschüler spielen schon nach kurzer Zeit in Laien-, Musikschul- , Schul- oder Kammerorchestern mit, denn der Bedarf ist groß.



Die Bläser unterteilen sich in Holzbläser und Blechbläser.

Die Holzbläser bestehen aus Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott. Sie sind je nach Werk und Epoche pro Instrument einfach bis vierfach besetzt, dabei hat jeder Holzbläser eine eigene Stimme und ein eigenes Notenpult. Der jeweils Erste spielt die anfallenden Soli, die anderen begleiten oder spielen Nebeninstrumente (wie z.B. Piccoloflöte), die eigene klangliche Akzente setzen und auch eigene Soli haben. Für die Nebeninstrumente gibt es Sonderzulagen, ansonsten verdient der Erste das meiste Geld.
Unter Flöte versteht man in der Orchesterterminologie immer Querflöte. Im 18. Jahrhundert wurde diese noch aus Holz gebaut, deshalb zählt sie nach wie vor zu den Holzblasinstrumenten. Nebeninstrumente sind Piccolo und Altflöte.
Die Flöte ist das einzige Blasinstrument, bei dem die Atemluft über ein Tonloch hinweggeblasen wird und kein direkter Kontakt zwischen Lippen und Mundstück besteht. Sie ist das höchste und beweglichste Holzblasinstrument und wird daher oft sehr virtuos eingesetzt. Ihr dynamisches Spektrum (Lautstärke) ist geringer als das der anderen Holzbläser, sie kann sich z.B. klanglich nicht gegen Blechbläser behaupten und kommt mehr an leisen, lyrischen Passagen vor. Das Piccolo ist das höchste Orchesterinstrument und immer besonders exponiert. Deswegen gilt diese Position als "Schleudersitz".
Die Oboe (Nebeninstrument Englisch Horn) gibt im Orchester den Stimmton an. Aufgrund ihres durchdringenden, schalmeiartigen Klanges beliebt, hat sie den Ruf, ein mechanisch heikles und störanfälliges Instrument zu sein. Ein Oboist verbringt viele Stunden seines Lebens damit, die "Rohre" (Rohrblätter) durch die der Ton angeblasen wird, selbst zu schnitzen und hat stets ein Arsenal an Messerchen, Feilen, Schraubenziehern etc. im Gepäck. Daher haben Oboisten oft etwas von schrulligen Heimwerkern an sich. Der hohe Blasdruck beim Spielen führt - vor allem bei einer fehlerhaften Atemtechnik - zu einem hochroten Kopf des Bläsers und hat lange Zeit das Vorurteil mitgeprägt, Oboespielen gehe "aufs Hirn".
Die Klarinette (Nebeninstrumente Es-Klarinette und Bass-Klarinette) war das Lieblingsinstrument der Klassik. Sie vertritt meist die Mittellage im Holzbläsersatz und hat umfangreiche Einsatzgebiete, mal im Satz begleitend, mal solistisch .
Das Fagott (Nebeninstrument Kontrafagott) ist das tiefste Holzblasinstrument und besticht durch großen Tonumfang und eine überraschende Virtuosität. So hat es auch im Orchester zahlreiche solistische Aufgaben.
Klarinette und Fagott werden ebenfalls durch hölzerne Rohrblätter ("Blätter" genannt) angeblasen, die es jedoch - im Gegensatz zur Oboe - in ausreichender Qualität zu kaufen gibt. Die Blätter müssen vor jedem Spielen in Wasser eingeweicht werden, sind sie zu trocken spricht der Ton nicht sauber an. Deshalb pflegen Rohrblattspieler ihre Blätter auch nach jeder kurzen Spielpause zu belecken und belutschen, was ihnen einen oral fixierten Anstrich gibt und auf Uneingeweihte einen zweifelhaften Eindruck macht..

Die Holzbläser sind eine zahlenmäßig kleine, oft hoch konkurrente Gruppe virtuoser Solisten im Orchester. Sie gelten als Individualisten. Außerhalb des Orchesters können sie zusammen mit dem Horn ein Bläserquintett bilden oder im Sinfonischen Blasorchester spielen, Flöte und Klarinette sind auch im Jazz zuhause. Es gibt zahlreiche kammermusikalische Betätigungen, die reichlich genutzt werden, da die Plätze im Orchester begrenzt und die Ambitionen der Spieler meist groß sind. Das Erlernen eines Holzblasinstrumentes führt fast unweigerlich zum Zusammenspiel mit anderen. Jedem Holzblasinstrument bietet die Literatur auch Solo-Konzerte, um sich vor dem Orchester zu profilieren, allerdings ist der Markt dafür klein.


Die Blechbläser sind ebenfalls Solisten, d. h. sie haben eigene Stimmen, spielen aber häufig als Gruppe zusammen, wie man sagt "im Satz". Ihr Aufgabenbereich ist weniger virtuos; sie haben oft längere Pausen zu überbrücken, da die tonerzeugende Ansatzmuskulatur der Lippen nur begrenzt physisch belastbar ist. Die zuverlässige Tonerzeugung und Fähigkeit sauber zu intonieren, sich also im Team anzupassen, gelten bei ihnen als Kardinalstugenden, da sie -wenn sie spielen - klanglich sehr präsent sind.
Trompeten sind die Vertreter der obersten Lage, immer exponiert.
Waldhorn gibt es in der Spezialisierung hoch oder tief. Das Horn mischt sich sehr gut mit Holzbläsern und auch Streichern, wird deshalb viel und auch solistisch eingesetzt.
Posaune (Nebeninstrument Bassposaune) und Tuba bilden ebenso Mittelstimmen wie auch Fundament der Blechbläser.
Die Blechbläser gelten als etwas grobschlächtig aber gesellig und stellen die trinkfesteste Gruppe im Orchester. Die fatalen Auswirkungen von Alkoholgenuss auf die Feinmotorik können ihrer Arbeit wenig anhaben.

Außerhalb des Orchesters betätigen sie sich im Posaunenchor, in der Bigband oder im Sinfonischen Blasorchester. Sie können im Jazz, im Salsa und in der Popmusik eingesetzt werden. Kammermusikalisch können sie als Blechbläserquartett oder- Quintett auftreten. Die Blechbläser sind überall gern gehörte Gäste. Die relative Unempfindlichkeit ihrer Instrumente macht sie besonders freilufttauglich und schafft ihnen viele Einsatzgebiete im Posaunenchor, Fanfarenzug, bei Umzügen und Weihnachtsmärkten.
Solistisch sind eigentlich nur Trompete und Horn punktuell anzutreffen. Der musikalische Schwerpunkt der Blechbläser liegt im Zusammenspiel.

Pauke und Schlagzeug bilden eine autonome kleine Randgruppe im Orchester. Ihr Platz ist hinter den Streichern und Bläsern, am weitesten vom Dirigenten entfernt. In der frühen Orchesterliteratur wurde nur die Pauke als Instrument mit klar definierter Tonhöhe eingesetzt, das Schlagwerk (Stabspiele, Fellinstrumente wie Bongos oder Congas, Trommeln, Glocken und diverse Effekt-Instrumente) kam erst im Verlauf des 19./20. Jahrhunderts dazu. Pauker/Schlagzeuger genießen ein hohes Ansehen im Orchester. Zum einen sind sie Solisten, zum anderen ganz auf sich gestellt. Sie haben oft lange Wartezeiten und müssen dann einzelne, unüberhörbare Aktionen genau platzieren. Die Pauke muss zudem oft im Stück umgestimmt werden. Pauker/Schlagzeuger fühlen sich meist erst mit der Literatur des 20.Jahrhunderts richtig gefordert.
Außerhalb des Orchesters haben (nur) die Schlagzeuger ein riesiges Betätigungsfeld: Jazz, Rock, Pop und Salsa , Bigband, Tanzmusik und Neue Musik stehen ihnen offen. Die meisten Schlagzeuger spezialisieren sich deshalb auf bestimmte Instrumente (z.B. nur Vibraphon oder überwiegend drumset) und Stilrichtungen. In jedem Ensemble sind sie aufgrund des vielfältigen Instrumentariums und des überdurchschnittlich großen Bewegungsradius die "Hingucker" und "Artisten". Sie gelten als künstlerisch eigenständig und hilfsbereit, da Instrumententransport und umständliche Aufbauarbeiten zu ihrem Berufsalltag gehören. Alleine stehen sie sehr selten auf der Bühne, übernehmen aber in jeder Formation solistische Funktionen und bestimmen das Tempo, üben also große Macht aus.

Die Harfe ist eine exotische Randerscheinung. Nur große Orchester haben dieses Instrument in Festanstellung besetzt, zu selten kommt es im Repertoire vor. Der feine silbrige Klang der Harfe wird von den anderen Instrumenten schnell zugedeckt, deshalb wird sie meist solistisch eingesetzt und hat sonst lange Pausen zu zählen.
Außerhalb des Orchesters wird die Harfe in der Kammermusik gerne als Klavierersatz genutzt. Sie ist dann vor allem in kleinen Besetzungen zuhause, z.B. als Liedbegleitung oder in Kombination mit Flöte und Bratsche. Jenseits der klassischen Musik taucht die Harfe nur vereinzelt - vor allem in der Folklore - auf. Allerdings hat sie ein breites Solo-Repertoire zur Verfügung. Ein Harfenspieler muss nicht mit anderen zusammenspielen. Da auf der Harfe mehrere Töne gleichzeitig erklingen können, kann sie auch alleine das Erleben von musikalischer Harmonie (durch die Erzeugung von Akkorden) leisten. Diese musikalische Autonomie haben Streicher, Bläser und Schlagzeug nicht. Harfen lassen sich schlecht transportieren und sind teuer in der Anschaffung, auch das macht sie heute zu Raritäten. Im 18. Jahrhundert zählten sie zu den wenigen für Frauen schicklichen Instrumenten. Nach wie vor haftet ihnen das "Engel-Image" an.



1.2. Instrumente außerhalb des Orchesters

Tasten- und Zupfinstrumente
Klavier, Akkordeon, Cembalo, Orgel, Gitarre und Mandoline haben Eines gemeinsam: sie sind selbst in der Lage Harmonien zu erzeugen und dafür nicht auf das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten angewiesen (siehe Harfe), verfügen also über eine hohe musikalische Autonomie.


Das Klavier hat soviel Sololiteratur zur Auswahl, das ein ganzes Pianistenleben nicht ausreicht, um sich hindurchzuspielen. So trifft man auf zwei gegensätzliche Musiker-Typen: den solitären Tastenlöwen, der sich selbst genug ist und den Kammermusiker/Liedbegleiter, der für das gemeinsame Musizieren in Kauf nimmt, nicht alleine im Rampenlicht zu stehen. Die musikalischen Möglichkeiten des Klaviers sind enorm vielschichtig. Es ist als virtuoses Soloinstrument ebenso etabliert wie als Ensembleinstrument und in allen Stilrichtungen zuhause. Im 19.Jahrhundert avancierte es zum Lieblingskind des Bürgertums und übernahm in einer Zeit ohne Medien und Reproduktionsmöglichkeiten die Rolle des kleinen Hausorchesters. Bis heute gehört Klavierunterricht zur Ausbildung jeder "höheren Tochter". Der primär feinmotorische Schwerpunkt des Klavierspiels macht es besonders übe-intensiv. Das ist - neben elterlichem Zwang - sicherlich ein Grund für die hohe Unterrichts-Abbruch-Quote unter den Klavierschülern.


Das Akkordeon war lange "das Klavier des kleinen Mannes", nur preiswerter und transportabel. Deshalb ist es vornehmlich in der Volksmusik verankert und genießt wenig Ansehen als Konzertinstrument. Despektierliche Synonyme wie "Asthmabeutel" oder "C-Dur-Expander" belegen dies. Akkordeonisten bleiben meist unter sich, sie spielen solo oder in den sogenannten Akkordeon-Orchestern. Im 20.Jahrhundert wurde das Akkordeon -ähnlich wie die Blockflöte - aufgrund seines volkstümlichen Charakters für die Komponisten wieder chic, doch trotz argentinischem Tango, französischer Musette-Musik und anspruchsvoller zeitgenössischer Literatur bleibt es eine Randerscheinung mit wenig Sozialprestige.


Die Gitarre ist ein altes und musikalisch vielseitiges Instrument mit einem Grundproblem: Sie ist zu leise, um sich mit vielen anderen Instrumenten zu vertragen. Gitarrenmusik verlangt Aufmerksamkeit, man muss sich auf sie einlassen und gut zuhören. Dies versperrte der Gitarre den Platz im Orchester und ist der Grund, weshalb klassische Gitarristen häufig unter sich bleiben. Sie spielen solo oder in Gitarren- bzw. Zupf-Ensembles. Die Kombination mit Flöte oder einem Streichinstrument ist eher die Ausnahme. Die Solo-Literatur ist allerdings umfangreich und international. Das Klischee eines Gitarristen ist ein introvertierter Einzelgänger, der mit leiser Stimme spricht, seine Gitarre fest im Arm hält und "ganz lieb" hat. Dem gegenüber steht der extrovertierte Solisten-Typ mit Alleinunterhalter-Qualitäten, der meist parallel singt, rezitiert o.ä.
Die Gitarre war auch ein Lieblingskind der Wandervogel-Bewegung, (preiswert, gut transportabel, wenige Akkorde machen schon viel her und sind leicht zu lernen) und hat sich in der volkstümlichen Liedbegleitung bis heute etabliert. In jedem Pfadfinderlager kann mindestens Einer zur "Mundorgel" klampfen.
Die Möglichkeit, die Gitarre elektronisch zu verstärken, hat ihr den Weg in die Rock-Pop-Unterhaltungsmusik geöffnet, dort wird sie meist solistisch eingesetzt. Der E- Gitarrist einer Band genießt hohes Ansehen.


Gesang
Die Stimme ist das ursprünglichste und persönlichste Instrument des Menschen. Immer dabei und quasi jederzeit einsatzbereit hat sie dennoch den Ruf, empfindlich und störanfällig zu sein. Sänger ziehen immer die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich und stehlen jedem anderen Instrumentalisten die Show. Ein Sänger hat nichts in der Hand, um sich daran festzuhalten oder dahinter zu verstecken, er/sie ist immer exponiert.
Entsprechend gelten sie als Primadonnen und Mimosen, empfindlich, zickig, eitel ("Rampensäue"), launisch und kompliziert. (Die anderen Musiker sind nur dazu da, um sie zu begleiten; das Publikum kommt nur um ihretwillen; "so kann ich nicht arbeiten" etc.). Sie werden beneidet, aber auch gerne als Frontleute vorgeschickt.
Jede Stimme hat ein individuelles Timbre, das -ungeachtet seiner technischen Möglichkeiten - entweder gefällt oder eben nicht. Die Identifikation eines Sängers mit seiner Stimme ist natürlich extrem hoch, ebenso das Verletzungspotential.
Weniger angreifbar macht das Singen im Chor, eine nicht solistische aber höchst gesellige Angelegenheit. Chöre verbringen viel Zeit miteinander, Wochenendproben, Konzertreisen, Chorfreizeiten etc. Im Chor sollen die einzelnen Stimmgruppen zu einem homogenen Gesamtklang verschmelzen (ähnlich dem Streicherapparat im Orchester), Einzelstimmen dürfen nicht "herausgehört" werden. Dennoch gibt es hin und wieder kleine Soli zu besetzen.


Außenseiter

Das Saxophon wurde erst Mitte des 19.Jahrhunderts entwickelt und ist ein Liebling der zeitgenössischen Komposition geworden. Es zählt zu den Holzblasinstrumenten und ist DAS solistische Blasinstrument der Jazzmusik. In den 80ger Jahren hielt es in der Popmusik Einzug und kam sehr in Mode, seitdem ist es auch in der Unterhaltungsmusik zuhause. Durch seinen markanten Ton ist es -außer in der Bigband- immer exponiert und spielt in der Regel die Ober- bzw. Melodiestimme.
Mit dem Saxophon sind viele Klischees verknüpft, so das Bild des unangepassten Rebellen, der nachts unter einer Brücke steht und mit durchdringendem Ton genial improvisiert. Es scheint für viele erwachsene Anfänger mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung verknüpft zu sein.


Spezialisten

Dazu zählen historische Instrumente wie z.B. Gambe, Cembalo ("Eierschneider"), Traversflöte, Blockflöte ("Blödflocke") oder Bassetthorn (eine Art Klarinette), die zum Teil in der Zeitgenössischen Musik ein neues Einsatzgebiet gefunden haben, aber sonst auf die Alte Musik in historischer Aufführungspraxis beschränkt bleiben. Dieses Spezialistentum für einen kleinen musikalischen Teilbereich wird nur von den Fachleuten entsprechend gewürdigt, die geringe Wertschätzung des breiter gefächerten Kollegiums zeigt sich an den Spitznamen.
Die Blockflöte hatte ihre Hochzeit in Renaissance und Barock. Sie galt als Instrument der Engel und war als solches sogar den Damen gestattet (siehe Kap.2). Mit der Klassik kam sie außer Gebrauch und erlebte ein Comeback zu Beginn des 20. Jahrhundert, als sie auch ein sehr populäres, volkstümliches Instrument wurde. Zum einen spielte sie eine wichtige Rolle in der Wandervogel-Bewegung, zum anderen wurde sie DAS Einstiegsinstrument für Kinder. Trotz interessanter und virtuoser Literatur in Barock und Moderne ringt sie bis heute um Akzeptanz als "richtiges" Konzertinstrument.






2. Musizierende Frauen im 18. und 19. Jahrhundert



Instrumentenwahl im Bürgertum

In der bürgerlichen Welt des 18. und 19. Jahrhunderts standen Frauen folgende Instrumente zur Auswahl:

  • das Klavier / Cembalo
  • die Gitarre / Laute
  • die Harfe / Zitter
  • der Gesang

Das Instrumentalspiel wurde im häuslichen Rahmen erlernt und ausgeübt. Es bereicherte die abendliche Unterhaltung und galt als Kennzeichen einer guten Erziehung und Bildung.


Gegen alle anderen Instrumente sprach das "Gefühl des Unschicklichen", das sich in drei Argumenten artikulierte:

  • dem Widerspruch zwischen Spielbewegungen und Frauenkleidung
  • dem Widerspruch zwischen Instrumentalklang und weiblichem "Geschlechtscharakter"
  • der Ungehörigkeit bestimmter Spielhaltungen

Gegen die Streichinstrumente sprach der eingeschränkte Bewegungsradius der damaligen Mode und die "Sittlichkeit". Ein Cello zwischen die Beine zu klemmen war skandalös.
Blasinstrumente "entstellten" die weibliche Physiognomie durch "Grimassieren" und entsprachen mit ihrem "männlichen" Klang nicht dem weiblichen Charakter. Nicht ganz so streng wurde die Blockflöte beurteilt und partiell toleriert.
Schlaginstrumente kamen als Militärinstrumente sowieso nicht in Frage, Klangcharakter und Spielbewegungen waren mit dem Frauenbild unvereinbar. Tasteninstrumente waren zwar gestattet, doch das Bedienen von Orgelpedalen hätte ein unschickliches Entblößen der Füße zur Folge gehabt.

Ich zitiere aus der 1783 erschienen Abhandlung "Vom Kostüm des Frauenzimmer Spielens" des Philologen und Komponisten Carl Ludwig Junker (1748-1797):

"...Wenn wir ein Frauenzimmer die Violin, das Horn oder den Bass spielen sehen, so empfinden wir ein gewisses Gefühl des Unschicklichen, das ...den Eindruck des vorgetragenen Stücks selbst schwächt. Es entstehet aus Verbindung der Ideen zwischen körperlicher Bewegung und der eigenen Kleidertracht des zweyten Geschlechtes; und ich behaupte, es giebt Instrumente, die sich für jene eigenen Moden nicht schicken. Es kommt uns lächerlich für, wenn wir ein Frauenzimmer in großen, hin und her fliegenden Manschetten am Violon - lächerlich, wenn wir sie in hoher Fontange das Horn blasen sehen...

...Dies Gefühl des Unschicklichen kann ferner dann entstehen, wenn die Natur des Instrumentes mit dem anerkannten Charakter der weiblichen Schwäche nicht in Verbindung steht. Zum Beispiel Trompeten, Pauken - sind sie nicht eigentlich Kriegsinstrumente? Können sie also nicht sehr natürlich beym Gefühl ihres Schalls, die Nebenidee derselben erwecken? Und wenn sie das können, muß denn die Seele nicht die Unschicklichkeit fühlen, die zwischen der Natur des Instrumentes und der Spielenden herrscht? ... So möchte es freylich spitzfindig erscheinen, wenn wir schon vom bloßen Ton des Waldhornes behaupten, das es sich nicht gut in Beziehung auf die feinere, weichlichere Stimmung des zweyten Geschlechtes denken lasse....

Zuletzt, das Gefühl der Unschicklichkeit kann entspringen aus der Dißproportion, die zwischen der lokalen Stellung des Körpers und dem eigentlichen Dekorum herrscht. Gewisse Instrumente erfordern eine solche Stellung und Lage des Körpers, die sich mit den Begriffen, des sittlichen Anstandes nicht verträgt. Denn sie erwecken... in der Seele gewisse Bilder und Nebenideen, die den Wohlstand nicht begünstigen.
Spielt ein Frauenzimmer das Violoncell, kann sie hiebey zwey Übelstände nicht vermeiden. Das Überhangen des Oberleibes, wenn sie hoch (nahe am Steg) spielt, und also das Pressen der Brust, und denn eine solche Lage der Füße, die für tausende Bilder erwecken, die sie nicht erwecken sollten; sed sapienti sat " (aber genug für den Wissenden).


Ausnahmen

Adelige Frauen standen - in gewissem Masse - über den gesellschaftlichen Zwängen und konnten sich im eigenen Kreis exzentrische Launen leisten.
Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth (1709-1058) an ihren Bruder, Friedrich den Großen: "...Seit acht Tagen lerne ich Violine spielen und extemporiere schon. Die Marwitz spielt die zweite Violine und die Grumbkow lernt die Bassgeige, die Base des Herrn von Brandt das Cello. Es ist der reinste Hexensabbat! Wir machen unsere Sache bereits so gut, dass alles entflieht, wenn wir unsere Konzerte beginnen...."
Und ganz selbstverständlich wird 1789 vom Wiener Hof Joseph, des Zweiten berichtet: "...Der Prinz spielte die Violin, die Prinzessin strich den Baß. Die Gräfin von Chanclos schlug die Pauken und die anderen von der Gesellschaft hatten gleichfalls ihre ausgetheilten Instrumente. Dieser musikalische Spaß ergötzte die höchsten Herrschaften ungemein...."


Vor allem in italienischen Klöstern gab es mitunter Frauenorchester, bestehend aus Nonnen und Zöglingen, die hinter den Klostermauern alle Orchesterinstrumente spielten. Das venezianische Frauenorchester des Ospedale della Pieta, ursprünglich ein Waisenhaus, erlangte sogar Weltruhm.


Wunderkinder waren ein beliebtes Phänomen und wurden auf Konzertreisen herumgereicht. Kleine Geigerinnen kostümierte man meist als Amazonen, um das Bekleidungsproblem zu umgehen. Kindliche Organistinnen, Flötistinnen, sogar Cellistinnen wurden von der Öffentlichkeit ohne weiteres toleriert. Einerseits sah man diese Kinder als Miniaturausgaben von Erwachsenen an, andererseits verklärte man sie zu Wesen aus einer reineren, heileren Welt . Die zunehmende körperliche Reife wurde solange wie möglich durch geschickte Kleidung und Haartracht vertuscht, das wahre Alter der kleinen "Engel" verheimlicht. War die Geschlechtsreife allzu offensichtlich geworden, verschwanden die weiblichen Wunderkinder in der Regel von der Bildfläche. Ein prominentes Beispiel ist Nannerl Mozart, die ältere, ebenso begabte Schwester von Wolfgang Amadeus, die als Kind zunächst mit ihrem Bruder erfolgreich auf Konzertreisen ging, dann verheiratet wurde und damit ihre musikalische Karriere beenden musste.


Professionelle Musikerinnen stammten meist aus Musikerfamilien, die ihre Kinder selbstverständlich musikalisch ausbildeten und von klein auf zum Broterwerb anhielten. Als Sängerinnen oder Harfenistinnen konnten sie eine Anstellung am Theater/Opernhaus erhalten. Hier waren sie keine Ausnahmeerscheinungen sondern unverzichtbare Ensemblemitglieder, was allerdings immer mit einem leicht anrüchigen Leumund verbunden war. Eine normale Orchesterstelle zu erhalten, war für Frauen nahezu unmöglich. Mit Klavier, Gitarre, Harfe und Gesang konnten sich Frauen auch konzertant betätigen, Engagements bei Hofe annehmen und Konzertreisen - in männlicher Begleitung - durchführen. Als prominentes Beispiel mag hier Clara Schumann, geb. Wieck zählen, die von ihrem Vater zur Pianistin ausgebildet und gemanagt wurde, bis sie gegen seinen Willen Robert Schumann heiratete. Die Strapazen und Gefahren einer Konzertreise, das finanzielle Risiko, die Abhängigkeit von einer männlichen Reisebegleitung und die Unvereinbarkeit mit ihren häuslichen Verpflichtungen hielten viele Musikerinnen von einer Konzertreise ab. Üblicherweise produzierten sie sich im heimischen Umfeld oder in Benefizkonzerten.



Entwicklung und heutige Situation

Im Verlauf des 19.Jahrhunderts wurden erste musikalische Ausbildungsorte für Frauen geschaffen, zunächst "Singschulen" o.ä. Mit zunehmender Selbstverständlichkeit der berufstätigen Frau erweiterte sich das instrumentale Angebot und die Ausbildungsmöglichkeiten.
Heute kann jede Frau an einer Musikschule oder im Privatunterricht ein beliebiges Instrument erlernen und sich damit auch an der Musikhochschule um einen Studienplatz bewerben. Orchester dürfen Frauen nicht mehr ablehnen (hier sei an den berühmten Disput zwischen Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern um die Einstellung der Klarinettistin Sabine Meyer erinnert) und es gibt weibliche Kirchenmusiker, wenn auch in kleiner Zahl.

Offen bleibt die Frage, inwieweit damalige Normen heute noch Gewicht haben und die freie Auswahl und das musikalische Leben beeinflussen.






3. Instrumentenwahl heute


Gibt es heute noch eine Unterteilung in Männer- und Fraueninstrumente?
Nutzen Frauen ihre heutige Wahlfreiheit?
Haben sie Favoriten?

Die Musikschule Dortmund hat mir freundlicherweise ihre Schülerzahlen (Stand Juli 03) zugänglich gemacht, um einen exemplarischen Eindruck zu bekommen. Erfasst wurde nur der sogenannte Kernunterricht mit 2848 Schülern, d. h. weder Schnupperkurse noch befristete Projekte.
Die Instrumente sind nach Gruppen sortiert, zunächst erscheint die Gesamtzahl der Schüler, dann die Aufteilung in w = weibliche Schüler, m = männliche Schüler.



Streichinstrumente
Violinen:
Bratsche:
Cello:
Kontrabass:
Insgesamt:
179
11
43
7
240
w 141
w 7
w 27
w 1
w 176
m 38
m 4
m 16
m 6
m 64

Holzblasinstrumente
Blockflöte:
Querflöte:
Oboe:
Klarinette:
Fagott:
Saxophon:
Insgesamt:
261
122
3
66
5
91
548
w 212
w 107
w 1
w 36

w 54
w 410
m 49
m 15
m 2
m 30
m 5
m 37
m 138

Blechblasinstrumente
Trompete:
Waldhorn:
Posaune:
Tuba:
Baritonhorn:
Insgesamt:
43
4
23
2
1
73
w 6

w 6


w 12
m 37
m 4
m 17
m 2
m 1
m 61

Tasteninstrumente
Klavier:
Jazzklavier:
Keyboard:
Kirchenorgel:
E - Orgel:
Akkordeon:
Insgesamt:
692
4
150
5
2
91
944
w 444
w 3
w 59
w 1
w 1
w 47
w 555
m 248
m 1
m 91
m 4
m 1
m 44
m 389

Zupfinstrumente
Gitarre:
E - Gitarre:
Mandoline:
E - Bass:
Konzertharfe:
Insgesamt:
509
44
1
22
3
579
w 233
w 1
w 1

w 3
w 238
m 276
m 43

m 22

m 341

Gesang
Gesang:
Chor:
Kinderchor:
Insgesamt:
160
16
154
330
w 134
w 12
w 128
w 274
m 26
m 4
m 26
m 56

Schlagzeug:
Dirigieren:
Komposition:
131
2
1
w 14
w 1
1
m 117
m 1
m 1


Auswertung

Die instrumentalen Spitzenreiter der weiblichen Schüler in Reihenfolge:

  • Klavier (444)
  • Gitarre (233)
  • Blockflöte (212)
  • Violine (141)
  • Gesang (134)
  • Querflöte (104)

Listet man die Fachbereiche nach der Anzahl weiblicher Schüler auf, ergibt sich folgende Rangordnung:

  • Tasteninstrumente (Klavier, Keyboard, Akkordeon)
  • Holzblasinstrumente (Blockflöte, Querflöte, Saxophon)
  • Gesang (Gesang, Kinderchor, Chor)
  • Zupfinstrumente (Gitarre, Harfe)
  • Streichinstrumente (Geige, Cello)
  • Schlagzeug
  • Blechblasinstrumente (nur Trompete und Posaune)

In den klassischen "Fraueninstrumenten" Klavier, Gitarre, Harfe und Gesang, sowie im Bereich der Tasten- und Zupfinstrumente, ist der Anteil weiblicher Schüler nach wie vor sehr hoch. Werden diese Instrumente jedoch elektronisch verstärkt ist der Anteil männlicher Schüler deutlich dominierend. Im Fach Gesang hingegen stellen weibliche Schüler gut 80 % des Unterrichtvolumens.
Bei den Streichinstrumenten sind weibliche Schüler in der Überzahl, mit Ausnahme des Kontrabasses.
Bei den Holzblasinstrumenten ist das Ergebnis ähnlich, wieder mit Ausnahme des tiefsten Instrumentes (Fagott) und der Oboe, die als besonders kompliziert gilt und im Orchester den Stimmton angibt. Blockflöte, Querflöte und Saxophon (!) führen die Beliebtheitsskala an.
Die Blechblasinstrumente und das Schlagzeug werden fast ausschließlich von männlichen Schülern gewählt

Natürlich sind die vorliegenden Schülerzahlen exemplarisch zu sehen, doch werden folgende Tendenzen deutlich:
Die bürgerliche Tradition des 18./19.Jahrhunderts wirkt immer noch fort.
Andererseits fassen weibliche Schüler auch in allen anderen instrumentalen Fachgruppen Fuß. Bei Holzblasinstrumenten und Streichinstrumenten (ehemals verpöntes Terrain!) stellen sie heute die Majorität, scheinen aber melodietragende, höhere Instrumente zu bevorzugen, die der weiblichen Stimmlage entsprechen, auch wenn sie (wie Blockflöte oder Saxophon) einen Außenseiterstatus haben.
Technischer Aufwand (siehe Oboe oder elektronische Verstärkung) scheint weibliche Schüler abzuschrecken. Das Interesse an aktiver, instrumentaler Popularmusik ist gering. Dies mag mit dem Mangel an weiblichen Vorbildern in diesen Bereichen zu tun haben und gilt auch für die Blechblasinstrumente und Schlagzeug.






4. Die Interviews


Die Rahmenbedingungen

Die Interviews fanden in einem privaten, von meinen Gesprächspartnerinnen ausgewählten Rahmen und unter vier Augen statt. Sie dauerten zwischen 30 und 45 Minuten. Ich habe die Gespräche mit einem Diktiergerät aufgezeichnet und parallel stichpunktartig protokolliert. Beide Musikerinnen kannte ich flüchtig: die eine von einem Ensemblejob, die andere aus Studienzeiten. Nach einer kurzen Erläuterung über Anlass und Thema meiner Arbeit, haben sie mir bereitwillig einen Termin eingeräumt und Auskunft gegeben.


Die Zielsetzung

Ich wollte die Hintergründe der Instrumentenwahl und das Verhältnis der Musikerinnen zu ihrem Instrument verstehen. Inwieweit "verlängert" es ihre Persönlichkeit? Was bedeutet es für sie? Welche Rolle haben sie sich mit ihrem Instrument gesucht? Wie treten sie mit ihrem Instrument in Kontakt zu anderen Menschen? Wie nehmen sie sich im musikalischen Alltagsbetrieb wahr?
Ich habe dazu Beiden die gleichen Fragen gestellt.


Der Fragenkatalog

Wie bist Du dazu gekommen dieses Instrument zu spielen?

Wie hat Deine Umwelt auf diese Wahl reagiert?

Was magst Du besonders an Diesem Instrument?

Was für Möglichkeiten bietet Dein Instrument?

Was davon interessiert Dich besonders? Wo ist Dein Betätigungsfeld?

Welche Rolle / Funktion hat Dein Instrument in diesem Betätigungsfeld?

Bist Du als Frau dort eine Ausnahme?

Ist das eher positiv oder negativ?

Was wünschst Du Dir mit Deinem Instrument? (Ziele / Perspektiven)

Ist Dein Instrument für Dich eher männlich oder weiblich?



4.1. Interview mit einer Kontrabassistin

C. ist 28 Jahre alt und Studentin. Sie hat den Diplomstudiengang Kontrabass soeben erfolgreich beendet und an einem anderen Institut einen Studienplatz für das Aufbaustudium Zeitgenössische Kammermusik bekommen.

C. sagte, sie sei "aus Not" zum Kontrabass gekommen. Sie war damals 18 Jahre alt, habe kein Instrument gut genug beherrscht, aber Musik studieren wollen. Dann habe sie eine Kontrabassistin kennen gelernt, die binnen zwei Jahren gut genug für die Aufnahmeprüfung geworden sei und gedacht: "das schaffst Du auch!". Die Initialzündung sei ein Konzert der Bremer Kammerphilharmonie gewesen; danach habe sie den brennenden Wunsch gehabt, selbst Musikerin zu werden. In diesem Konzert sei ein hervorragender Bassist aufgetreten, der ihre bisherigen Vorurteile "die machen immer nur so schrumm-schrumm" ausgeräumt habe, statt dessen habe sie gedacht "das geht also auch alles!".
Sie hat dann mit zwei Freundinnen aus ihrer Clique den Unterricht aufgenommen, ihren ersten Lehrer angerufen und gesagt: "Ich will Kontrabass lernen, Sie müssen mich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten!". Ihre Freundinnen sind dann nach und nach wieder abgesprungen.

C. hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine bewegte musikalische Vergangenheit.
Als Kind musste sie lange Blockflöte spielen "weil ich das auch ganz gut gemacht habe", eigentlich wollte sie Cello lernen, sei dafür aber - nach Meinung ihrer Mutter - körperlich "zu klein" gewesen. Mit 10 Jahren bekam sie dann Cellounterricht, fand sich aber schon "zu alt". Alle anderen Kinder waren schon viel länger dabei und viel besser, darauf hin hat sie das Cello abgeschrieben. Den Kontrabass fand sie damals schon spannend, er kam aber nicht in Frage, sie war ja zu klein. C. hat auch mit dem Fagott geliebäugelt, "weiß aber gar nicht genau , warum das nichts wurde". Später hat sie es noch mit Klavier versucht, aber: "es war zu spät und ich war zu faul". C. hat auch Gesangsstunden genommen, aber bald eingesehen, dass ihre "Stimme für eine Solo-Karriere nicht ausreicht". Musik habe sie immer nur professionell und auf hohem Niveau interessiert. "Wenn nicht, hätte ich auch den Kontrabass nie mehr ausgepackt!"
Ihre Umwelt sei in erster Linie über ihren Wunsch, Musiker zu werden erstaunt gewesen. Niemand habe ihr das nötige Durchhaltevermögen zugetraut, das Instrument sei sekundär gewesen. Vielleicht habe sie diesbezügliche Irritationen auch gar nicht besonders mitbekommen, denn "wenn man etwas absolut will und davon überzeugt ist, überträgt sich das auf die Umwelt".

C. liebt am Kontrabass die Tiefe, die klangliche Spannweite und das körperliche Gefühl der Bewegung beim Spiel. Da habe man "richtig etwas festzuhalten" im Gegensatz zu den Blasinstrumenten. Im Orchester sei der Kontrabass "unglaublich wichtig", nämlich das Fundament und der Pulsgeber, wenn auch nicht ganz so auffällig wie die Geigen. Das reizvolle am Orchester sei der Gruppenklang, aber eigentlich fände sie es noch schöner, im Kammerorchester zu spielen. "Da ist meist nur ein Kontrabass besetzt und man spielt solistisch, nicht wie die Geigen im tutti".
Am Liebsten macht C. Zeitgenössische Musik. "Da steht der Kontrabass den anderen Instrumenten nicht mehr nach". Die Fundament-Funktion löst sich auf, der Kontrabass wird oft mittelstimmig und solistisch eingesetzt und C. empfindet sich als "gleichberechtigter". Für ihre berufliche Zukunft wünscht C. sich eine Stelle in einem Ensemble für Zeitgenössische Musik oder einem Kammerorchester, um ein festes Standbein zu haben, aber trotzdem "frei" zu bleiben.

Auf die Frage, ob sie als weibliche Kontrabassspielerin eine Ausnahme sei, antwortet C. "man ist es nicht mehr, ich empfinde mich aber so". Sie war sehr erstaunt darüber, bei ihrem Aufenthalt in Österreich gleich drei ältere Frauen in Solopositionen im Orchester angetroffen zu haben. Meistens sei man doch die einzige Frau in der Stimmgruppe und es sei schon "ein anderes Gefühl", wenn zufällig einmal zwei Bassistinnen beteiligt seien. C. vermeidet eine eindeutige Wertung dieser Situation, sie sei so positiv oder negativ wie eine Party mit Männerüberschuss, eben gewöhnungsbedürftig. Es sei eine andere Einstellung dazu erforderlich. Sie setze immer voraus, dass es für die Männer keinen Unterschied mache und das "strahle ab". Man falle natürlich auf. Sie habe aber keine negativen Erfahrungen gemacht, nur dass männliche Kollegen immer wieder fragen, wo sie die Kraft für das Instrument hernehme; doch sei auch diese Frage nicht abwertend sondern interessiert gestellt worden. Sie glaube aber, das ein kräftiger Ton mehr von Technik und Präzision als von reiner Körperkraft abhängig sei.
C. besitzt zwei Kontrabässe. Die seien für sie eigentlich geschlechtsneutral, aber - sie lacht - der eine "habe Eier", nämlich zwei Kugeln an den Zargen, nur zur Zierde. Dann könnte der andere natürlich weiblich sein, aber das sei wohl eher Gedankenspielerei.


Auswertung

C. ist eine ehrgeizige, nach Unabhängigkeit strebende junge Frau mit hohen Machtansprüchen. Sie verfolgte ihre musikalischen Ziele systematisch planend und hartnäckig - man möchte fast von Tunnelblick sprechen - sobald sie "groß genug" geworden war, um ihrer dominanten, kleinen Mutter über den Kopf zu wachsen.
Ihre musikalischen Ansprüche sind elitär; wenn sie kein hohes, professionelles Niveau auf einem Instrument erreichen kann, wendet C. sich ab. Die "zahme" Blockflöte bot ihr, trotz ihrer Erfolge auf diesem Instrument keine ausreichende Befriedigung. Sie probierte daraufhin drei andere hochvirtuose und solistische Instrumente aus. Auffallend ist dabei ihre frühe Vorliebe für tiefe Stimmlagen (Cello/Fagott) und die Hinwendung von "Gruppeninstrumenten" zu Klavier (Ausdruck des Wunsches nach Unabhängigkeit und hohem Sozialprestige) und Gesang, dem "Hingucker" par excellence. Ihre Sonderrolle als Frau an diesem Instrument scheint C. heimlich zu genießen, kann sie aber nicht bewusst zulassen. Immerhin hat sie auf der "Party" bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht. Der Umstand, kein weiblicher Pionier im Orchestergraben mehr werden zu können ("drei ältere Frauen in Solopositionen"), schien sie fast zu kränken.

Die Außergewöhnlichkeit ihrer Instrumentenwahl hat C. zu Beginn ihrer Ausbildung abgewehrt, indem sie mit zwei Freundinnen zusammen anfing und so diese Entscheidung nach außen hin normalisierte; gleichzeitig konnte sie der Männerüberzahl im instrumentalen Umfeld mit Verstärkung gegenübertreten.
Jetzt ist es "ein anderes Gefühl", wenn eine zweite Frau in der Stimmgruppe auftaucht. Ich habe den Verdacht, das C., deren Herkunftsfamilie aus Eltern und drei Töchtern besteht, die sich gegenseitig "alle ganz toll finden", hier die unweigerlich aufkommende Frauenkonkurrenz abwehrt.
Vielleicht ist das auch ein weiterer Grund für ihre Wahl eines so männlich besetzten, tief klingenden Instrumentes?
In ihrem liebsten Betätigungsfeld, der Zeitgenössischen Musik ist die Sonderrolle als Frau "egal", denn der Kontrabass ist "gleichberechtigt" und virtuos eingesetzt. Er bewegt sich in Bereichen, die sonst mehr dem Cello - ihrem ursprünglichen Wunschinstrument - eigen sind, nämlich Mittellagen und Melodieführung und genießt auch dessen solistischen Status.
Wenn alle Solisten sein dürfen, d.h. Ehrgeiz und Machtansprüche befriedigen können, spielt die Geschlechtszugehörigkeit und Zusammensetzung des Ensembles für C. keine Rolle mehr. Die Sonderrolle als weibliche Instrumentalistin wird nur im Orchester wahrgenommen, wo sie die Kränkung über den niedrigeren Status des Instrumentes kompensieren muss.



4.2. Interview mit einer Saxophonistin

G. ist 39 Jahre alt und Saxophonistin. Sie unterrichtet einen Nachmittag an einer Musikschule und arbeitet sonst freischaffend.

G. erzählt, sie habe ursprünglich Kirchenorgel studiert, aber große Schwierigkeiten gehabt Übemöglichkeiten zu finden, da sie nicht konfessionell gebunden sei. Außerdem habe sie das Instrument gelangweilt, "eine verstaubte Schiene". Dann habe sie einen Aushang gesehen "Saxophonisten gesucht für Bigband" und da habe es bei ihr "Klick" gemacht. Sie habe sich sofort ein Saxophon gekauft, dafür noch ihren Schmuck versetzt und begonnen zu üben. Sie habe sich als Lehrer bald einen Hochschuldozenten gesucht und nach einem Jahr die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule gemacht, denn das habe sie sofort gewollt: Saxophon studieren.

G. berichtet, sie habe auf der Orgel nie Unterricht gehabt und erzählt kichernd, dass sie bei der Aufnahmeprüfung an der Universität nicht einmal den Stromschalter des Instrumentes gefunden habe. Auf Orgel sei sie nur gekommen, weil bei ihren Eltern zuhause eine Heimorgel herumgestanden habe, das Spielen darauf habe sie sich selbst beigebracht. Nach der Schule wollte sie ursprünglich mit geistig Behinderten arbeiten (bzw. aus anthroposophischer Sicht "Seelischpflegebedürftige", wie sie betont) und sei so auf Sonderpädagogik gekommen. Außer Orgel habe sie nichts spielen können und das auch nicht so wichtig genommen.
Ihr Bruder habe zwar regelmäßig Schlagzeugunterricht bekommen, ihr sei von ihren Eltern aber nie das Angebot gemacht worden, ein Instrument zu lernen. Ihr diesbezüglicher geäußerter Wunsch sei irgendwie untergegangen. Ihre Mutter habe aber immer gesagt: "Du wirst einmal Musik studieren".
Den Entschluss Saxophon zu studieren hätten "alle gut gefunden". Sie habe auch bis zur Aufnahmeprüfung die anderen Studiengänge (Sonderpädagogik und anthroposophische Sonderpädagogik) weitergemacht. Sie sei zwar zunächst mit ihren fünf Tönen, die sie anfangs spielen konnte, etwas belächelt worden, "du kannst doch nicht mit fünf Tönen in der Bigband mitspielen!", habe sich aber durchgeboxt und schnell Erfolge gehabt.

Am Saxophon schätzt G, "dass man damit so schön klassisch und auch so schön anders spielen kann"; die Möglichkeit ihre "eigene Musik zu verwirklichen", das expressive Spiel und die Verwandtschaft zur menschlichen Stimme. Wegen seiner Gesangsqualitäten und tonlichen Flexibilität ist das Instrument für sie eindeutig weiblich. Das Saxophon sei so vielseitig, man könne quasi "alles machen, was man will".

Am Meisten interessiert G. "die Verwirklichung ihrer eigenen Musik". Sie nimmt gerade mit ihrer eigenen Band eine CD mit eigenen Stücken auf und bezeichnet sich auf einmal als Komponistin. Zu ihren weiteren Betätigungen äußert sie sich nur auf intensive Nachfrage; sie weiß gar nicht so genau, in wieviel Combos sie überhaupt mitspielt, ein Duo fällt ihr ein, ein Ensemble, das einen Exoten-Preis gewonnen hat.
Die Rolle des Saxophon beschreibt sie als melodietragend und überwiegend solistisch; sofern man nicht einen Sänger begleite, übernehme das Saxophon das Gesangsthema.
Weibliche Saxophonistinnen seien keine Ausnahme mehr.
Gerade im männerlastigen Jazz wären Frauen entweder als Sängerinnen oder als Saxophonistinnen tätig, Tendenz steigend. Allerdings würden viele Frauen in ihrem Alter das Saxophon als Hobby betreiben. Auf der Bühne gäbe es noch nicht so viele Saxophonistinnen und auch nicht viele weibliche Vorbilder.
Dort, auf der Bühne, erlebt G. ihre Weiblichkeit als positiv, Bands mit Frauenanteil würden häufiger gebucht. Es sei ja auch innerhalb des Ensembles "interessanter", wenn eine Frau dabei sei. Trotzdem schwärmt G. von reinen Frauenbands, die sie als "entspannend" und "schöner" erlebt, nicht zuletzt wegen des gemeinsamen "Ablästerns". Denn als einzige Frau in einer Männer-Band sei es schwierig, von den Männern akzeptiert zu werden, man müsse erst mal seine Kompetenz beweisen und sich durchsetzen. ("Das dauert, bis DIE mal tun, was man will..."). Ähnlich schwierig und ausgiebig schildert sie die Akquisition und Organisation von eigenen Auftritten. Frauen seien zu lieb, würden oft von Veranstaltern nicht ernstgenommen, könnten nicht hart genug verhandeln und würden auch bei Verträgen häufig über den Tisch gezogen werden.
Sie wünscht sich, dass ihr das bei der Vermarktung ihrer neuen CD nicht passiert, sondern dass sie ein gutes Label findet. Langfristig möchte sie gerne in die Filmmusik einsteigen also mehr komponieren, denn sie hat jetzt schon mehr Spaß daran sich schöne Dinge auszudenken, als blöde Muggen (musikalische Gelegenheitsgeschäfte) zu machen.


Auswertung

Das Interview mit G. erweist sich als schwierig. Sie spricht mit leiser Stimme im Verschwörerton, so als wolle sie mich ins Vertrauen ziehen, gibt aber oft Antworten, die ich hinterfragen muss, da ihre Aussagen unklar formuliert sind, sie aber immer im besten Lichte darstellen. Mich irritiert die Art und Weise, mit der G. mir, einer Fachkollegin, Ungereimtheiten und durchsichtige Übertreibungen zu verkaufen sucht. Es müsste ihr doch klar sein, dass ich die Details hinterfrage? Ich weiß nicht, ob ich G. für naiv, dreist, wahrnehmungsgestört oder einfach nur professionell-hochstapelnd in ihrer Selbstdarstellung halten soll. Es fällt mir streckenweise schwer, eine neutrale Reporter-Rolle beizubehalten, weil ich G. unglaubwürdig finde und mich veralbert fühle. Doch frage ich zu genau nach, wird G. bockig und beginnt auszuweichen. Ich entscheide an diesen Punkten, ihre Aussagen einfach stehen zu lassen und den Fragenkatalog fortzusetzen.

So kommt z.B. nur durch mein Nachhaken heraus, das G. nicht Kirchenorgel, sondern Sonderpädagogik mit dem Instrumentalfach Kirchenorgel studiert hat, was bezüglich der instrumentalen Anforderungen ein großer Unterschied ist.
G. "weiß nicht mehr so genau" , warum sie keinen Instrumentalunterricht haben durfte, obwohl doch ihre Mutter ihr eine Musikerkarriere prophezeit hat und auch ihre Schwester eine kurze Zeit Klavierunterricht bekam (G. ist auch nicht ganz sicher, ob es Klavier war).
Sie bezeichnet sich im Verlaufe des Gesprächs als Orchestermusikerin, die dort nicht spielt, weil sich ihr das "nicht so bietet" und sie sich "auch nicht so darum gekümmert hat". Auf meinen Einwand hin, dass es doch gar keine festen Orchesterstellen für Saxophonisten gäbe, bezieht sie sich auf ihren Studienabschluss (KH). KH (= Künstlerisches Hauptfach) hieß früher bei Orchesterinstrumenten auch "Orchesterreife". Dieser Begriff wurde durch KH ersetzt, als der Studiengang mit instrumentalem (nicht pädagogischem) Schwerpunkt auch für Nicht-Orchesterinstrumente geöffnet wurde.
Sowieso benutzt sie Fachbegriffe für einen studierten Musiker seltsam undifferenziert, wenn ihr das erlaubt, zu glänzen.

G. scheint ein extremes Geltungsbedürfnis zu haben.
Sie schildert sich als benachteiligte, aber begabte Tochter, die das einzige ihr erreichbare Instrument (Heimorgel) autodidaktisch erlernte und es damit immerhin bis zur Studienreife brachte. Der Studiengang erschien ihr dann langweilig; ich interpretiere dies als eine Form der Abwehr, als ein "sich-nicht-einlassen-wollen". Wer möchte schon nach jahrelangem Eigenbrödlertum am Instrument von einem Lehrer kritisiert und Lehrplänen ausgesetzt sein? Außerdem ist die Orgel ein zwar mächtiges, aber einsames Instrument und der Orgelspieler auf der Empore für das Publikum unsichtbar.
Die Initialzündung umzusatteln war ein Aushang, der Zusammenspiel in einem Ensemble und Betätigungsfelder versprach. G. hat ihre Lehrerwahl sofort zielstrebig auf ein Studium hin ausgerichtet und "geübt wie eine Wahnsinnige". Andererseits will sie ihr Doppel-Studium parallel normal weitergeführt haben. Sie gibt sich hier sehr zielstrebig und fleißig, doch scheint mir auch eine Vorsichtsmaßnahme dahinter zu stecken: sollte die Aufnahmeprüfung nicht klappen, hätte niemand es merken müssen.

Die Reaktionen ihrer Umwelt wirken merkwürdig widersprüchlich. Zuerst sagt G., alle hätten ihre Wahl gut gefunden, ihre Mutter habe es ja immer prophezeit ( vielleicht fühlte sie sich auch dadurch ermutigt oder bestimmt, zum Musik-Studium zu wechseln?); an einer anderen Stelle erzählt G., sie sei belächelt worden und habe sich gegenüber professionellen Musikern "durchboxen" müssen.
Diese gegensätzlichen Aussagen ziehen sich durch das gesamte Interview und scheinen mir keine verspäteten Erinnerungen zu sein, sondern Teil der jeweiligen Rolle, die G. gerade einnimmt:
Mal ist sie eine begabte, kompetente und erfolgreiche Künstlerin, die nicht nur am Instrument brilliert, sondern auch komponiert, also über das Instrument hinauswächst.
Mal ist sie eine unschuldige Kindfrau, verführerisch, ein bißchen naiv und hilflos, dabei das Opfer böser Männer, die sie nicht Ernst nehmen, ihre Kompetenz anzweifeln und sie sogar betrügen. An dieser Stelle verallgemeinert sie stets und meint, das wäre doch mal eine Aufgabe für mich, zu untersuchen, "warum die Männer Frauen in der Musik so schlecht akzeptieren".
Sie, die eine hohe, leicht piepsige Stimme hat und am Telefon oft für ein Kind gehalten wird, rühmt die Verwandtschaft des dominanten Saxophonklanges mit der menschlichen Stimme. Mit dem Saxophon könne man zwar "alles machen" (eine extreme Aufwertung), doch dient es ihr, um ihre eigene Musik (und Machtansprüche) zu verwirklichen. Das Instrument ist als Verlängerung der Persönlichkeit für G. "eindeutig" weiblich, da sie sich als eindeutig weiblich definiert.

G. genießt ihre Ausnahmerolle als Frau auf der Bühne. Das Saxophon bietet ihr die Möglichkeit, als Solistin im Vordergrund zu stehen, es garantiert ihr Aufmerksamkeit und verschafft ihr Gehör. Außerdem verhilft es ihr zur Bestätigung ihrer sexuellen Attraktivität. So erzählt sie kichernd und ein wenig stolz, in Polen auf der Tournee habe das Publikum "ausziehen" gebrüllt. Sie sei ganz freundlich gewesen, denn sie könne ja kein polnisch.
In den Männer-Bands findet sie es "interessanter", wenn nur das Problem, ernst genommen zu werden nicht wäre. G. mit der kindlichen Stimme, der offensiv weiblichen Kleidung und dem etwas naiv-hilflosen Auftreten hat Mühe, Weibchenschemata und Führungsansprüche zu vereinen.
G. weiß um ihre körperlichen Reize und setzt sie sehr bewusst ein. Sie berichtet - wiederum kichernd - von einer ihrer Gelegenheits-Bands, die "sexy Cinderellas" heißt:
Die Musikerinnen laufen als "walking act" durchs Publikum, spielen nur 3 x 15 Minuten, ziehen sich aber für jedes Set anders an. Diese Bestätigung ihrer körperlichen Attraktivität scheint ihr sehr wichtig zu sein.

Weibliche Konkurrenz nimmt G. nicht bewusst wahr; sie solidarisiert sich mit den anderen "Opfern" und lästert kräftig ab. Als Konkurrenz empfindet G. nur "die Männer". Ich habe den Eindruck, dass sie durch betont kindlich-weibliches Auftreten die offene Konkurrenz mit ihnen zu vermeiden sucht und lieber flirtet, gleichzeitig aber ihren Geschlechtsvorteil ("Bands mit Frauenanteil werden besser gebucht") ausnutzt und sich ihre Attraktivität bestätigen lässt. Hier entspricht ihr Verhalten ganz der von Karl König typisierten hysterischen Charakterstruktur (Kleine Psychoanalytische Charakterkunde, Seite 40), Zitat:
"... Rivalität wird stereotyp aufgesucht oder stereotyp vermieden; manche rivalisieren, ohne es selbst zu merken. Rivalität kann umgangen werden, indem man Rivalitätssituationen vermeidet, aber auch, indem man sich dem Stärkeren unterwirft. Ein ödipal fixierter Mensch wird.... sich in jeder Situation zum Liebling des Stärksten machen wollen."

G.s Zukunftspläne und Wünsche sind hochtrabend. Sie drehen sich um die Verwirklichung ihrer eigenen Musik, am liebsten als Komponistin. Ihre eigene Band wird im Interview weder benannt, noch vorgestellt. An die anderen Ensembles, mit denen G. ihr Geld verdient, kann sie sich gar nicht so genau erinnern. Schließlich fallen ihr im Gespräch nur die ein, die entweder ihrem Geltungsbedürfnis entsprechen (Preisträger) oder ihrer sexuellen Attraktivität schmeicheln. Mitspieler wie Instrument werden von ihr funktionalisiert. Auch mir versucht sie einen Arbeitsauftrag unterzuschieben. Das Saxophon reicht für ihre Phantasien und Machtansprüche nicht mehr aus, im Verlauf des Gesprächs mutiert G. zur Komponistin. Das musikalische Alltagsgeschäft (Muggen) wird schon als Kränkung erlebt.
Diese typisch narzisstische Überberwertung des Selbst, gepaart mit Allmachtsphantasien und Unterbewertung der restlichen Umwelt zieht sich ebenfalls durch das gesamte Interview.
G. hat sich mit dem Saxophon eine berufliche Situation geschaffen, die ihr erlaubt, hysterische wie auch narzisstische Persönlichkeitsanteile auszuleben.






5. Literaturverzeichnis und Quellenangaben


Oliver König, Macht in Gruppen, Pfeiffer bei Klett-Cotta

Karl König, Kleine psychoanalytische Charakterkunde, Charakter und Verhalten im Alltag, Sammlung Vandenhoeck

J. Chasseguet-Smirgel, Das helle Antlitz des Narzissmus, Idealisierung als "normaler" Prozess

Freya Hoffmann, Instrument und Körper, Insel Taschenbuch

H. Schmale / H. Schmidtke, Der Orchestermusiker, Schott Verlag

Enzyklopädie, Musik in Geschichte und Gegenwart, dtv Bärenreiter


Zum vorigen Beitrag Zur Übersicht Fachforum Zum nächsten Beitrag
zur Startseite
Datenschutz