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A. Gerlach, M. Pläp

Praxisbeispiele AP Dortmund


Einführung

In unserem Gesamtkonzept ist die theoretische Haltung zu unserer Beratungsarbeit dargelegt. Im folgenden finden Sie eine Darstellung von praktischen Beratungssequenzen aus unserer Arbeit. Diese soll mehrere Aufgaben erfüllen. Zum einen möchten wir unsere Arbeit illustrieren, damit unsere Klientinnen und Klienten und andere fachlich Interessierte einen genaueren Eindruck von unserer Beratungsarbeit bekommen können. Zum anderen möchten wir, um den Theorieteil verständlicher zu machen, zeigen, wie wir die Theorie umsetzen. Nicht zuletzt dient dieser praktische Teil aber auch der Kontrolle unserer Arbeit.

Es wurden 10 Praxissequenzen ausgewählt, die jeweils einen theoretischen Teil unserer Konzeption verdeutlichen sollen. Sie können mittels Link diesen theoretischen Teil im Gesamtkonzept nachlesen. Vor jeder Beratungssequenz steht eine kurze Einführung. Hier wird die angesprochene Stelle unseres Gesamtkonzeptes reflektiert und erklärt.






Inhaltsverzeichnis






1. Vermittlung der Werthaftigkeit des weiblichen Lebens

In dieser Beratungssequenz stellt die Beraterin der Klientin gegenüber klar, welche Leistung sie in ihrem Leben vollbracht hat. Hier zeigt sich, dass die Klientin Schwierigkeiten hat für sich selbst Leistungen anzuerkennen und sich auch mal als etwas Besonderes zu empfinden. Die Beraterin verdeutlicht der Klientin über ihre Intervention erstens, dass sie eine beachtenswerte Leistung erbracht hat und zweitens, dass es möglich sich selbst für Leistung zu loben und wert zu schätzen.

Klientin: Nach dem Treffen mit der Selbsthilfegruppe ist es mir noch schlechter gegangen. Die haben mich da nur genervt.

Beraterin: Was genau hat sie denn genervt. Erzählen sie mal.

Klientin: Da ist eine Frau, die erzählt praktisch jedes Mal das Gleiche, eben wie schlecht es ihr geht. Am Anfang hört man ja noch geduldig zu, aber da hat sich nichts getan. Die Frau verändert sich einfach nicht.

Beraterin: Na ja, das ist auch ein bißchen das Problem von Selbsthilfegruppen. Da besteht dann die Gefahr, dass es einem schlecht gehen muss. Schließlich ist das Leid das verbindende Element.

Klientin: Das stimmt. Für die anderen ist es auch ganz wichtig, dass sie sich als Suchtkranke definieren, so als wenn es ihre Identität geworden ist. Als ich mal gesagt habe, dass ich mir durchaus vorstellen kann, irgendwann ein Glas Alkohol als Genussmittel zu trinken, waren die anderen regelrecht entsetzt. Dabei hatte ich gar keine Probleme mit Alkohol.

Beraterin: Im Grunde sind ja die schlimmsten Anti-Alkoholiker ehemalige Alkoholiker. Dann geht ja Abstinenz über alles. Das kann dann schon mal ganz schön rigide gehandhabt werden. Aber sie sind ja auch keine typische Suchtkranke, sie unterscheiden sich ja von den anderen in der Gruppe.

Klientin: Wahrscheinlich haben sie da Recht. Ich komme mir auch manchmal vor, als gehörte ich da nicht mehr hin.

Beraterin: Wissen sie warum ich denke, dass sie sich von den anderen unterscheiden?

Klientin: Ich bin ja keine Alkoholikerin.

Beraterin: Das meinte ich aber nicht. Sie sind ja auch keine typische Drogenabhängige. Überlegen sie mal. Der typische Drogenabhängige lebt doch auf der Straße und hat meistens gar nichts. Sie haben eine qualifizierte Berufsausbildung, haben jahrelang erfolgreich in dem Bereich gearbeitet, sogar noch während sie gedrückt haben.

Klientin: Das empfinde ich aber nicht als etwas Besonderes.

Beraterin: Na hören sie mal. Sie sind doch eine gestandene Frau, die etwas geschafft hat in ihrem Leben. Sie haben einen Beruf gelerntnie gesehen.

Die Klientin schweigt, freut sich aber (noch verhalten) über das Kompliment der Beraterin.






2. Förderung gesunder Persönlichkeitsanteile

In dieser Beratung knüpft die Beraterin an die vorhandenen gesunden Persönlichkeitsanteile der Klientin an. Hier bedeutet dies, die berufliche Situation, welche die Klientin bisher gut gemeistert hat, entsprechend zu fördern. Dabei nimmt sie natürlich auch die Bedenken der Klientin ernst, gerade auch in Bezug auf die eigene Missbrauchsproblematik. Die Beraterin stoppt die Klientin aber darin, deshalb ihren Beruf vollständig aufzugeben. Die Klientin hat sich mit ihrem Beruf selbst ein Stück Identität aufgebaut, aus dem sie Selbstvertrauen und Selbstwert ziehen kann. Die berufliche Situation fördert daher auch die psychische Gesundheit der Klientin. Für den Heilungsprozess ist es deshalb wichtig, an diese Ressourcen anzuknüpfen und nicht plötzlich einen Neuanfang zu machen.

Beraterin: Wie sieht es denn mit ihrer beruflichen Situation aus? Sind sie zur Zeit zufrieden in ihrem Beruf?

Klientin: Ich weiß nicht so genau. Also, eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich in dem jetzigen Beruf wirklich weiter arbeiten will. Also, ich wollte vielleicht eine Umschulung machen.

Beraterin: Was macht sie denn so unzufrieden in ihrem Beruf?

Klientin: Ich bin mir nicht sicher. Ich bin immer ganz gerne Erzieherin gewesen. Aber ich habe das Gefühl, ich kann den Mädchen zur Zeit gar nicht mehr gerecht werden. Die haben häufig eine ähnliche Geschichte wie ich – das wühlt mich dann immer viel zu sehr auf.

Beraterin: Vielleicht ist es dann sinnvoll nicht mehr unbedingt in einer Mädchen-Wohngruppe zu arbeiten. Aber deshalb gleich den Beruf an den Nagel hängen. Was für eine Umschulung hatten sie sich denn überlegt.

Klientin: Irgendetwas weniger Stressiges – vielleicht Gärtnerin.

Beraterin: Na hören sie mal. Als Gärtnerin haben sie auch Stress – aber eben anderen Stress. Wissen sie, ich habe einen ganz anderen Eindruck, warum sie darüber nachdenken, eine Umschulung zu machen. Ich sag´ ihnen mal meinen Eindruck. Für mich wirkt es so, als wenn sie gerade in ihrem Leben überall einen Schlussstrich machen und neu anfangen: Zuerst haben sie ihre langjährige Beziehung beendet, dann einige Freundschaften aufgekündigt und haben auch noch die Stadt gewechselt. Damit will ich nicht sagen, dass dies falsche Entscheidungen waren – aber jetzt eine Umschulung zu machen, könnte auch "nur" der Wunsch sein, bei allem einen Neuanfang zu machen. Wie finden sie das?

Klientin: Vielleicht haben sie da recht. Es ist schon so, dass ich häufiger in meinem Leben alles umgeschmissen habe.

Beraterin: Das ist aber der springende Punkt. Sie müssen dann jedes mal wieder klein anfangen, sei es bei Beziehungen oder in beruflichen Zusammenhängen. Ich finde die Idee einer Umschulung nicht gut. Wenn Sie jetzt eine Umschulung zur Gärtnerin machen, sind sie dort wieder Lehrling. Dann haben Sie nichts zu sagen und müssen erst mal keine Verantwortung tragen. Das mag vielleicht zunächst verlockend sein und einfacher aussehen. Aber Sie sind schließlich keine zwanzig mehr und tragen seit Jahren Verantwortung. Außerdem verdienen sie als Gärtnerin nicht gerade gut und es ist eine körperlich sehr anstrengende Tätigkeit. Was denken Sie dazu, dass ich Ihre Idee nicht so gut finde?

Klientin: Ich weiß´ nicht so genau. Irgendwie würde ich ja auch gerne weiter als Erzieherin arbeiten, aber so wie es jetzt ist, geht es zumindest nicht. In der Tat ist die Vorstellung ein bißchen komisch, wieder die Schulbank zu drücken.

Beraterin: Ich finde Schulbankdrücken fast immer gut. Ich sehe es gerne, wenn sich meine Klientinnen auch beruflich weiter entwickeln und am Leben teilnehmen. Aber einen Neuanfang zu machen, finde ich bei Ihnen nicht wirklich passend. Hier ist doch die Frage viel interessanter, wie sie sich in ihrem bestehenden Beruf erstens schützen und zweitens aber auch weiter entwickeln können. Mit ihrer langjährigen Berufserfahrung könnten sie doch auch Leitung übernehmen. In diesem Bereich könnten sie doch z.B. mal eine Fortbildung machen.

Klientin: Ja, das habe ich auch schon mal gedacht. Vielleicht sollte ich mich mal schlau machen, was es dafür Möglichkeiten gibt.

Beraterin: Das halte ich für eine gute Idee. Sie müssen aber auch gucken, dass sie in einem anderen Arbeitsfeld tätig werden. Ich habe den Eindruck, dass sie in der Mädchenwohngruppe zu häufig mit dem Thema "Missbrauch" konfrontiert werden. Gibt es denn noch andere Bereiche in denen sie sich vorstellen können zu arbeiten?

Klientin: Mich würde es auch reizen mit behinderten Menschen zu arbeiten. Das habe ich auch vorher lange gemacht, bin dann aber zufällig in der Mädchenwohngruppe gelandet.

Beraterin: Behindertenarbeit kann ich mir bei Ihnen auch sehr gut vorstellen. Ich glaube das passt besser zu Ihnen, als die Arbeit als Gärtnerin.






3. Keine Kultivierung des Opferstatus

Die Klientin in dieser Beratung erlebt sich in ihrer Beziehung zu ihrer Mutter als Opfer. Sie ist davon überzeugt, sie sei ein unerwünschtes Kind gewesen. Zur Konzeption des AP Dortmund gehört es, die subjektive Wahrnehmung der Klientinnen an der Realität zu überprüfen. In diesem Fall bedeutet es nachzufragen, ob die Klientin wirklich ein unerwünschtes Kind gewesen ist. Die Beraterin zweifelt an dieser Stelle, da sich in der Gegenübertragung (dazu näher unter 7.) das Gefühl des "Unerwünschtseins" nicht einstellt. Sie fragt daher genauer nach den Umständen und konfrontiert die Klientin mit den Widersprüchen. Die Klientin kann dadurch eine andere Sicht auf die Beziehung zu ihren Eltern bekommen und sich aus ihrer subjektiven Opferwahrnehmung heraus arbeiten. Dies ist unter Umständen notwendig, um wieder handlungsfähig zu werden. Denn die Klientin erlebt sich nicht nur in der Vergangenheit als Opfer, sondern überträgt dies auch auf gegenwärtige Situationen.

Beraterin: Worüber möchten sie denn noch reden? Was gibt es denn noch zu besprechen?

Klientin: Über das Verhältnis zu meinen Eltern. Das macht mich ziemlich traurig. Ich und meine ältere Schwester waren ungewollte Kinder.

Beraterin: Wie kommen sie denn darauf, dass sie ungewollt waren? Ich glaube so was ja nicht immer sofort. Das müssen sie mir erst mal "beweisen", d.h. mich von ihrer Sichtweise überzeugen.

Klientin: Meine Mutter hat uns das oft genug gesagt. Wir beide waren eigentlich nicht geplant und damit dann auch nicht gewollt.

Beraterin: Davon bin ich aber noch immer nicht überzeugt. Auch wenn ihre Mutter ihnen das erzählt, heißt das noch lange nicht, dass das auch so war. Man muss da immer auch die Realität sehen. Sie haben doch gesagt, dass sie viele Kinder zuhause waren, warum sollten ausgerechnet sie und ihre Schwester ungewollt gewesen sein.

Klientin: Ich weiß nicht. Meine Mutter hatte vor uns einige Fehlgeburten gehabt.

Beraterin: Hm, das hört sich ja nicht gerade an, als wenn ihre Mutter nicht schwanger werden wollte. Auch wenn zu der Zeit Verhütungsmethoden noch nicht so weit verbreitet waren, waren sie doch Frauen mit dem Bildungsstand ihrer Mutter durchaus bekannt. Und bei mehreren Fehlgeburten war es doch auch möglich, sich sterilisieren zu lassen. Also ich finde das irgendwie schief. Wie finden sie das, dass ich nicht glaube, dass sie ungewollt waren?

Klientin: Ich weiß nicht, ich bin immer davon ausgegangen. Schließlich hat meine Mutter das immer wieder gesagt.

Beraterin: Verstehen sie mich nicht falsch. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie das gesagt hat und sie sich dann ungewollt gefühlt haben. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch wirklich ungewollt waren. Sie sind da unter Umständen einer Legende aufgesessen, die ihre Mutter inszeniert hat. Ich erlebe ihre Mutter da ambivalent. Sie sagte, sie seien ungewollt – aber die Realität widerspricht dem. Das gleiche erlebe ich bei der Beziehung zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter. Ihre Mutter hat sich als abhängig von ihrem Vater erlebt, obwohl sie das aufgrund ihres Bildungstandes gar nicht war. Sie hat sich eine Abhängigkeit konstruiert, die in der Realität gar nicht vorhanden war. Was denken sie zu dieser Diagnose?

Klientin: Also erst habe ich gedacht, dass sie sich ja ganz gerne reden hören.

Beraterin: Ja, das stimmt wohl irgendwie auch.

Klientin (grinst): Aber mit meiner Mutter haben sie wahrscheinlich recht. Das ist wirklich unlogisch.

Beraterin: Ich habe das mit ihrer Mutter ja ganz schön aufgedröselt. Ich erkläre ihnen auch mal warum: Wir hatten am Anfang der Sitzung ihr Verhältnis zu ihrer Tai-Chi Ausbilderin. Einerseits bewundern sie diese Frau und halten sie für kompetent, andererseits sehen sie aber auch deutliche Schwächen in ihrer Art auszubilden, wollen aber trotzdem weiter dorthin gehen. Sie meinten, sie haben das Gefühl, sie müssen weiter zu ihr gehen. Sehen sie die Parallele? Sie fühlen sich von dieser Frau abhängig, obwohl sie es in der Realität gar nicht sind. Sie können das wie besprochen konfrontieren und sich sogar eine andere Ausbilderin suchen. Sie erleben sich an dieser Stelle abhängig, obwohl sie es in Wirklichkeit gar nicht sind. Wie ihre Mutter. Wie finden sie das, dass ich sie da ähnlich wie ihre Mutter sehe?

Klientin: Ja, irgendwie ist das so. Ich habe auch viele Ähnlichkeiten mit meiner Mutter. Es ist interessant zu sehen, dass ich mich abhängig gefühlt habe, obwohl ich es gar nicht bin.






4. Positiver Zugang zur eigenen Sexualität

Die Klientin beschreibt in dieser Beratung ihre Beziehung zu Männern als eher destruktiv und aus der Opferhaltung heraus. Sie hat Schwierigkeiten ihre eigene Sexualität positiv zu erleben. Bei ihren Schilderungen tritt aber eine Diskrepanz zwischen den geäußerten Gefühlen der Klientin und dem Erleben der Beraterin auf. Die Beraterin konfrontiert die Klientin mit dieser Diskrepanz – und bezeichnet die Klientin als machtvolle Frau. Dadurch kann in der Beratung erarbeitet werden, dass das Leben der Klientin zu dem geschilderten Zeitpunkt auch positive Seiten hatte und sie Spaß an Ausleben ihrer Weiblichkeit hatte. Durch die wohlwollende Haltung der Beraterin, gerade auch in Bezug auf ihre Weiblichkeit, wird es der Klientin möglich gemacht eine positive Haltung zu ihrer eigenen Sexualität zu entwickeln.

Beraterin: Also, sie sind dann schon sehr früh ausgezogen, so mit ungefähr 16, oder ?

Klientin: Ja, ich habe das in der Gegend, wo ich aufgewachsen bin nicht mehr ausgehalten und bin zu einer Schwester meines Vaters gezogen. Ich habe dann das gemacht, was meine Freundin mir nachgesagt hat. Ich habe mich dann eben so verhalten, wie alle dachten, dass ich sowieso wäre.

Beraterin: Das verstehe ich nicht, erklären sie mir das bitte noch mal. Wie meinen sie das genau?

Klientin: Sie hat mir nicht geglaubt, dass ihr Freund mich vergewaltigt hat, sondern meinte, dass wäre eine Ausrede. Sie hat überall herum erzählt, ich wäre eine Flittchen. Ich habe mir dann gedacht, wenn alle das denken, dann kann ich mich ja auch so verhalten. Ich hatte dann ziemlich viele Männerbeziehungen und habe die Männer dann einfach machen lassen. Ich habe mich denen dann einfach hingegeben, es war ja schließlich schon alles egal.

Beraterin: Da waren sie ja eine ziemlich machtvolle Frau in der Zeit.

Klientin: Das verstehe ich jetzt nicht. Ich war doch gar nicht machtvoll, ich habe die dann einfach machen lassen.

Beraterin: Ich erkläre ihnen das mal, wie ich das meine. Ich denke, dass sie damals viel Macht hatten, weil sie die Männer um die kleinen Finger wickeln konnten. Sie konnten sich ja wahrscheinlich die Männer aussuchen. Sie sind ja eine attraktive Frau und waren das als Jugendlichen wahrscheinlich auch schon.

Klientin: Ja, das stimmt, da haben sie recht. Ich hätte eigentlich jeden haben können. Aber ich fand das eher immer nervig. Aber das war auch eine sehr schöne Zeit. Ich hatte da eine Affäre mit einem älteren Mann, der mich richtig hofiert hat. Das hat mir schon gut gefallen. Mit dem Mann hatte ich auch viel Spaß. Wie sie das so sagen, hatte ich ihm gegenüber auch viel Macht. Der musste sich ganz schön um mich bemühen.

Beraterin: Wissen sie, sie waren schon ganz schön keck für eine Jugendliche.

Klientin: Wie, was heißt – ich war keck?

Beraterin: Sie hatten ihr Leben schon ganz schön im Griff und wirklich viel Spaß gehabt. Ich erinnere mich, dass sie erzählt haben, dass sie mit 17 dann im Altersheim gearbeitet haben und sich dann ihr erstes Auto gekauft haben. Das war für die damalige Zeit schon was Besonderes.

Klientin: Das war schon toll. Ich hatte da ja einen kleinen BMW und bin dann nach Feierabend und am Wochenende mit meinen Freundinnen losgezogen, zum Tanzen und so.

Beraterin: Ich kann mir sie richtig vorstellen: Am Steuer eines flotten Flitzers, mit wehendem Schal und lauter Musik, während ihre Freundinnen aus dem Schiebedach winken.

Klientin (grinst) : Ja, toll nicht?

Beraterin: Sehen sie, dass meine ich mit keck. Sie haben das Leben einer erwachsenen Frau schon voll ausgekostet, obwohl sie noch nicht erwachsen waren. Sie hatten Liebesbeziehungen, in denen sie eher den Ton angegeben haben, sie hatten eigenes Geld, hatten ein eigenes Auto und sind schon von zuhause ausgezogen – also ich finde das keck. Da hatten sie ihr Leben ja ganz schön im Griff.

Klientin: Ja, das war wirklich eine tolle Zeit.






5. Zugang zu den eigenen Aggressionen

Die Klientin erlebte sich in der Situation auf ihrem Arbeitsplatz in einer passiven Opferhaltung. Die Beraterin stellt ihr eine andere Sichtweise zur Verfügung, in der erstens das Verhalten der Kollegen erklärbar wird und zweitens auch der Eigenanteil der Klientin verdeutlicht wird. Der Eigenanteil der Klientin hat auch etwas Aggressives, wenn sie z.B. keine Beziehung zu den Kollegen aufbaut. Sie wird dadurch so wahrgenommen, als hielte sie sich ``für etwas Besseres''. Die Beratung soll es der Klientin ermöglichen, diesen Anteil und auch die Aggressionen zu erkennen, um so einen Zugang zu den Aggressionen zu ermöglichen. Ihr Verhalten wird von der Beraterin aber nicht negativ bewertet, sondern die Situation soll zunächst verständlich gemacht werden. Im Verlaufe eines Beratungsprozesses wird der Zugang zu den eigenen Aggressionen leichter, Aggressionen müssen nicht mehr als negativ abgespalten und evtl. auf andere projiziert werden.

Klientin: Ich verstehe das einfach nicht, warum sich bei der Arbeit alle so zu mir verhalten haben.

Beraterin: Wie haben die sich denn zu ihnen verhalten? Was genau haben sie an deren Verhalten nicht verstanden?

Klientin: Ich verstehe nicht, warum die nicht nett zu mir sein konnten, schließlich habe ich denen doch nichts getan. Da wurden die ganze Zeit so komische Sprüche gerissen und seltsame Sachen gesagt. Die hätten ja auch nicht unbedingt nett zu mir sein müssen. Mir hätte es ja schon gereicht, wenn die einigermaßen höflich gewesen wären. Die hätten mich einfach meine Arbeit machen lassen sollen, dann wäre das schon okay gewesen.

Beraterin: Haben ihre Kollegen sie denn daran gehindert zu arbeiten, ich verstehe das ganze noch nicht so ganz.

Klientin: Nein, nicht wirklich, aber ich habe ganz häufig nur Sachen machen müssen, die auch jede Aushilfe hätte machen können. Dabei bin ich doch ausgebildete Einzelhandelsverkäuferin. Wissen sie, die waren einfach blöd. Sehen sie, wenn sie z.B. die Tomaten auf eine bestimmte Art und Weise hingelegt haben, dann haben die da eine Bedeutung rein interpretiert, das hieß dann das sie einen Mann suchen. Darüber wurden dann die ganze Zeit Witze gerissen.

Beraterin Und sie fanden das dann überhaupt nicht witzig.

Klientin: Nein. Gar nicht. Aber ich wurde ständig so komisch angeguckt und habe einfach bei deren Spielchen nicht mitgemacht. Die Frauen z.B. haben sich immer um die männlichen Aushilfen gerissen und mit denen geflirtet. Es ging immer darum, wer mit wem im Bett war. Ich hatte da kein Interesse dran und habe mir die Typen aber ständig vom Leib halten müssen. Die Frauen fanden das aber komisch, dass ich nichts von den Typen wollte.

Beraterin: Ich sag` ihnen mal, was ich für ein Gefühl bekomme, wenn sie mir das so erzählen. Sie sind eine eloquente junge Frau. Sie haben Abitur gemacht und wollen demnächst auch studieren. Zur Überbrückung haben sie dann die Ausbildung zur Einzelhandelsverkäuferin gemacht und die als Beste abgeschlossen. Ihre Bewerbung bei ihrem letzten Arbeitgeber wird dann bestimmt die Runde gemacht haben, oder?

Klientin: Wie meinen sie das jetzt, das verstehe ich so nicht.

Beraterin: Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr Chef nicht erzählt hat, was für ein gutes Zeugnis sie hatten und dass sie Abitur haben. Das ist in der Branche ja schon was ganz Besonderes und dann haben sie sich ja auch noch einen großen Laden ausgesucht, wo auch viele nicht Ausgebildete arbeiten. Ihre Kollegen werden gewusst haben, was da ``für Eine'' kommt. Wie finden sie das, dass ich das ich da ein Problem drin sehe?

Klientin: Das kann ja sein, aber was hat das mit mir zu tun und damit, dass die anderen dann sich so scheiße zu mir verhalten haben?

Beraterin: Na hören sie mal. Sie sind gebildeter als ihre Kollegen, sie wollen mit denen nichts zu tun haben...

Klientin: Aber das war doch gar nicht so, dass ich mit denen nichts zu tun haben wollte. Ich habe die doch gar nicht gekannt, da hätte sich doch durchaus etwas entwickeln können.

Beraterin: Aber so etwas sieht man doch ziemlich schnell. Wie lange hat das denn gedauert, bis sie wussten, dass sie mit denen nicht auf einer Wellenlänge sind. Ein paar Tage, ein paar Stunden und doch weniger.

Klientin: Na ja, höchstens ein paar Minuten.

Beraterin: Sehen sie. Das werden ihre Kollegen auch gemerkt haben. Ihre Kollegen waren sauer auf sie, weil sie da irgendwie nicht hin gehörten.

Klientin: Ich verstehe das aber nicht, ich habe doch genauso gearbeitet wie die und das gleiche Geld gekriegt.

Beraterin: Aber sie wollten mit denen nichts zu tun haben, sie haben sich nicht in die Gruppe eingeordnet und was wahrscheinlich entscheidend war, sie müssen dort ja nicht bleiben. Sie können aufgrund ihrer Bildung aus der Struktur heraus und können etwas aus sich machen, während die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen diese Chance nicht haben. Aber warum ich das Ganze so aufdrösel - ich möchte ihnen verdeutlichen, dass auch sie sich aggressiv gegenüber ihren Kollegen verhalten haben, indem sie sich nicht in die Gruppe einordneten und sich in deren Augen als etwas Besseres vorkamen. Deshalb haben sie dann von ihren Kollegen und Kolleginnen auch soviel Aggressionen abgekriegt. Das heißt aber auch, dass sie der Situation nicht ausgeliefert sind, sondern selbst auch einen Anteil an dieser Dynamik haben.






6. Widerstand

Diese Beratungssequenz zeigt deutlich den Widerstand der Klientin, sich auf die Beratungsbeziehung einzulassen. Sie präsentiert sich der Beraterin als "Therapeutenschreck" und praktisch nicht auszuhalten. Ihre Wortwahl und Betonung ihrer Aggressivität mutet fast schon wie eine Drohung an. Die Beraterin bekommt hier das Angebot, von ihrer Seite her die Beratung abzubrechen. Die Beraterin geht aber darauf nicht ein, sondern ordnet die Aggressionen positiv ein. Sie macht der Klientin damit ein Beziehungsangebot. Die Klientin betont aber weiterhin, dass sie eine so problematische Klientin ist, dass dies nur eine Therapeutin bisher ausgehalten hat. Die Deutung der Situation (es handelt sich um einen Autoritätskonflikt) soll der Klientin helfen, ihren Widerstand zu verstehen. Über die Deutung geht die Klientin einfach hinweg. Sie betont jetzt, dass sie eigentlich nicht wirklich Beratung will, sondern nur jemanden der ihr zuhört. Die Beraterin spricht nun an, ob eine Beratungsbeziehung überhaupt möglich ist. Aber auch jetzt entsteht kein wirklicher Kontakt zwischen Beraterin und Klientin. Nun werden der Beraterin Kompetenzen zugeschrieben, über deren Realität die Klientin nicht Bescheid wissen kann, da sich die Beratung noch ganz im Anfangsstadium befindet.

Klientin: Wenn ich mir die letzten Jahre so anschaue, muss ich schon sagen, dass ich ein ziemlicher "Therapeutenschreck" bin. Also mit mir hält das keiner solange aus.

Beraterin: Wie kommen sie denn darauf, dass sie ein "Therapeutenschreck" sind. Hat Ihnen das jemand gesagt? Ich glaube so etwas ja nicht immer sofort.

Klientin: Das müssen Sie aber von Anfang an wissen. Ich kann ziemlich aggressiv werden und sehr misstrauisch. Ich renne auch einfach mal zwischendurch raus, wenn ich zuviel bekommen und melde mich dann erst eine Woche später wieder. Ich habe ja schon viele Therapeuten gehabt. Die meisten haben es wirklich nicht lange ausgehalten.

Beraterin: Was heißt das denn, wenn sie aggressiv werden - was passiert dann? Werden sie handgreiflich?

Klientin: Nein, aber ich kann schon ganz schön laut werden und rumschreien und häufig gehe ich einfach, wenn es mir zuviel wird.

Beraterin: Ich habe da kein Problem mit, ich werde auch manchmal lauter. In manchen Situationen geht das auch nicht anders. Wir arbeiten ja auch viel mit Aggressionen, dass kann man ja auch in unserer Konzeption lesen. Was denken sie dazu, dass ich da kein Problem sehe.

Klientin: Das überrascht mich, ich habe das auch schon im Internet gelesen und da hat mich das auch schon überrascht. Aber sie haben mich ja noch nicht in Aktion erlebt. Ich hatte nur eine Therapeutin, die das ausgehalten hat. Mit der habe ich mich dann auch schon mal lautstark gestritten, bin auch häufig einfach weggelaufen. Aber das war ganz gut, weil ich auf jeden Fall immer wieder kommen konnte.

Beraterin: Mit ihr hatten sie aber einen ganz schönen Autoritätskonflikt, den sie ja ganz schön massiv austragen mussten.

Klientin: Ich will niemanden, die mir sagt, was ich machen soll. Eigentlich brauche ich nur jemanden, die mir zuhört, der ich meine Probleme erzählen kann - mehr aber auch nicht.

Beraterin: Können sie sich denn vorstellen, mit mir zusammen zu arbeiten? Schließlich bin ich ja ein ganzes Stück jünger als sie. Vielleicht können sie mich ja gar nicht ernst nehmen.

Klientin: Also ich glaube das nicht, ich denke dass sie ziemlich viel Beratungserfahrung und auch Lebenserfahrung haben. Deshalb kann ich mir das schon vorstellen. Außerdem glaube ich, dass sie meine Aggressionen aushalten können.






7. Arbeit mit der Gegenübertragung

In dieser Beratungssequenz arbeitet die Beraterin mit der Gegenübertragung. Die Klientin berichtet von einem Konflikt mit ihrem Mann, der sich scheinbar um die Behandlung der Kinder in einer Patchworkfamilie dreht. In diesem Gespräch macht die Klientin der Beraterin Gefühle, die man Gegenübertragung nennt. Die Beraterin äußert diese Gegenübertragung, dass die Klientin gerne bestimmen will und zwischen und in der Beziehung zu ihrem Mann einen "Boxkampf" inszeniert. Diese Gegenübertragung wird der Klientin in Form einer Hypothese zur Verfügung gestellt. Dadurch kann der Klientin verdeutlicht werden, dass dieses Verhalten in der Vergangenheit zwar adäquat war, sie dies aber auf die Gegenwart übertragen hat, in der es nicht mehr angemessen ist. Durch das Verstehen der Situation kann langfristig eine Veränderung herbeigeführt werden.

Klientin: In der letzten Woche gab es wieder viel Stress mit meinem Mann. Das war wirklich keine schöne Woche.

Beraterin: Wie hat sich der Stress denn geäußert?

Klientin: Entweder wir streiten uns darüber, wir er meine Kinder behandelt oder aber er zieht sich vollständig raus und will überhaupt gar keine Verantwortung mehr übernehmen.

Beraterin: Es geht also hauptsächlich darum, wie er ihre Kinder behandelt. Behandelt er die denn irgendwie schlecht?

Klientin: Auf jeden Fall anders als seine eigenen Kinder. Ich habe schon das Gefühl, dass meine Kurzen in dieser Konstellation benachteiligt sind. Sie kriegen viel weniger Aufmerksamkeit von ihm und er schimpft auch schnell mit meinen Kindern. Am Sonntag z.B. hat mein mittlerer Sohn extra Frühstück gemacht und ist dann auch noch Brötchen holen gegangen. In der Zwischenzeit ist mein Mann aufgestanden und hat selbst Brot geschnitten. Als mein Sohn wiederkam wurde er von meinem Mann ausgeschimpft, weil das seiner Ansicht nach nicht nötig gewesen wäre. Mein Mann ist auch ziemlich geizig. Aber ich fand das völlig ungerecht, schließlich wollten uns die Kinder nur eine Freude machen. Ich habe mich dann mit meinem Mann ziemlich lang darüber gestritten, dass er meinen Sohn so nicht behandeln kann.

Beraterin: Wie ist das denn mit seinen Kindern und ihnen? Wie gehen sie denn mit denen um?

Klientin: Ich versuche schon die gleich zu behandeln, aber ich denke eben auch, dass die nicht soviel von mir brauchen, weil sie mehr von ihm als meine Kinder. Aber ich habe dann schon schnell mal ein schlechtes Gewissen. Wenn ich aber z.B. Streit mit dem Großen habe, stellt sich mein Mann fast immer auf dessen Seite und dann wird klargestellt, dass ich nicht seine richtige Mutter bin.

Beraterin: Ich sag' ihnen mal was ich dazu denke. Ich glaube sie wollen schon ganz gerne in den Streiten die Bestimmerin sein. Ist ihnen das klar, dass sie eigentlich gerne soviel wie möglich der Fäden in ihrer Familie in der Hand hätten? Sagen sie mal, was sie dazu denken?

Klientin: Aber ich will doch gar nicht bestimmen.

Beraterin: Klar wollen sie bestimmen. Sie sind doch wie eine Glucke, die ihre Küken beisammen halten möchte und am liebsten alles unter Kontrolle hätte. Aber was wollen sie denn eigentlich bestimmen?

Klientin: Was soll ich denn tun, wenn mein Mann meine Kinder benachteiligt? Da kann ich ihn doch nicht einfach machen lassen?

Beraterin: Haben Sie mir zugehört? Zwischen ihnen und ihrem Mann findet ein Machtkampf statt, wer am meisten zu sagen hat. Den Machtkampf tragen sie zur Zeit auch auf dem Rücken ihrer Kinder aus. Was halten Sie von meiner Hypothese?

Klientin: Wenn ich so darüber nachdenke, haben sie Recht. Wir führen wirklich einen Machtkampf.

Beraterin: Mein Eindruck ist auch so, dass es da Auge um Auge, Zahn um Zahn geht und um jeden Millimeter gekämpft wird. Merken Sie die Parallele zu dem, was wir in den letzten Stunden besprochen haben?

Klientin: Nein, fällt mir gerade nicht auf.

Beraterin: Sie verhalten sich häufig so, als wenn das Leben ein Boxkampf wäre.

Klientin: Ja stimmt, so fühle ich mich auch immer. Immer Hab' Acht-Stellung und um meine Rechte kämpfen.

Beraterin: Aber in der Gegenwart ist das nicht mehr nötig. Ihr Leben ist jetzt kein Boxkampf mehr. Sie können den anderen auch ruhig mal etwas zugestehen und müssen nicht um jeden Millimeter kämpfen. Die Konsequenzen heute sind nämlich ganz andere und ein Boxkampf nicht mehr angemessen.






8. Projektionsfläche für Vater- und Mutterübertragung

Die Klientin reinszeniert an dieser Stelle einen Autoritätskonflikt. Es findet eine Mutter- bzw. Vaterübertragung auf die Beraterin statt, der die "elterliche" Autorität aus den Händen genommen werden soll. Dies beginnt damit, dass die Klientin versucht das Setting der Beratung zu bestimmen, indem sie sich weigert, dass Ende der Beratung anzuerkennen. Die Beraterin muss dies mehrmals mit Nachdruck einfordern. Bei der Terminabsprache entsteht der Eindruck, als wenn die Klientin die Vorschläge der Beraterin gar nicht wirklich wahrnimmt. Sie wirft ihr indirekt vor, die Beraterin hätte keine Zeit für sie. Dabei wird sie stellenweise recht laut. Die Beraterin steigt auf diesen Konflikt nicht ein, sondern bietet ihr immer wieder herzlich Termine an, damit diese sich angenommen fühlen kann und weiß, dass sie in der Beratung willkommen ist. Die Beraterin stellt sich für die Vater- bzw. Mutterübertragung zur Verfügung, will den Konflikt aber konstruktiv und positiv lösen. Dadurch kann der ursprüngliche Konflikt der Klientin mit Autoritäten in einem längeren Beratungsprozess dauerhaft aufgelöst und bewusst gemacht werden.

An dieser Beratungssequenz lässt sich auch die Rollenklarheit innerhalb einer Beratungsbeziehung verdeutlichen. Durch die Reinszenierung des Autoritätskonfliktes versucht die Klientin die Beraterin aus der Rolle zu bringen. Sie akzeptiert an dieser Stelle (noch) nicht, dass die Beraterin die Leitung des Settings innehat. Dies äußert sich z.B. auch daran, dass die Klientin am Schluss plötzlich aufsteht und von sich aus die Beratung beenden will. Die Beraterin geht auf das "Angebot" einer Rollenkonfusion nicht ein, sondern bestimmt weiterhin das Setting, indem sie mit Nachdruck darauf besteht, dass die Sitzung allmählich beendet werden muss und die Klientin zur Tür begleitet.

Beraterin: So, erst mal Punkt für heute.

Klientin: Die Beziehung zu meiner Lebensgefährtin gestaltet sich wirklich schwierig. Ich weiß aber wirklich nicht, wie ich es schaffen soll mich dauerhaft von ihr zu trennen. Aber ohne Sexualität fehlt mir wirklich was, aber mir einfach jemand anderes zu suchen, keine Ahnung ob ich das so einfach kann.

Beraterin: Die Zeit ist jetzt wirklich um. An der Stelle müssen wir dann das nächste Mal weiter gucken und drüber sprechen, ob sie sich trennen wollen.

Klientin: Aber das ist gar nicht so einfach mit der Trennung.

Beraterin: Wir müssen jetzt wirklich einen Termin machen...

Klientin: Na gut, aber ich kann dauerhaft nicht an dem gleichen Termin wie heute, das passt mir gar nicht. Sie wissen ja, dass ich nicht arbeitete, da muss ich mir meine Woche gut durch strukturieren.

Beraterin: Wir wäre es denn nächste Woche Freitag um 11.00 Uhr.

Klientin: Nein, nein Freitag ist ganz schlecht. Also dauerhaft vielleicht, aber nicht nächste Woche. Sie müssen da schon ein bißchen auf mich zukommen, dass ist nicht so einfach mit meinen Terminen.

Beraterin: Dann sagen sie mal, wann sie gut könnten.

Klientin: Also Freitag kann ich nur ganz schlecht und Donnerstag wäre auf Dauer auch nicht gut. Da habe ich den ganzen Vormittag zu tun und das wird dann zu anstrengend. Können sie nicht Mittwochmorgen um 10.30.

Beraterin: Das tut mir leid. Da habe ich eine Supervisionsgruppe. Da kann ich frühestens um 11.30.

Klientin (laut) : Nein, dass ist mir zu spät. Ich finde das ziemlich nervig, dass sich das so schwierig gestaltet. Es muss doch möglich sein, hier einen Termin zu kriegen.

Beraterin: Wir finden schon einen Termin. Also sagen sie mir, wann sie noch könnten.

Klientin: Wenn es sein muss, machen wir es dann doch nächste Woche um die gleiche Zeit. Das ist für mich zwar blöd, aber wenn es nicht anders geht.

Beraterin: Da freue ich mich, dass wir doch noch einen Termin gefunden haben. Also nächste Woche Donnerstag um 14.00. Brauchen Sie ein Zettelchen?

Klientin: Nein, dass kann ich mir so merken. Also ich gehe dann jetzt.

Beraterin: Ich bringe sie noch zur Tür... Bis nächste Woche dann und machen sie es gut.






9. Stützende Arbeit bei Psychotikerinnen

Bei dieser Klientin besteht die Gefahr, dass sie in die Phantasie geht, dann aber nicht mehr zwischen Phantasie und Realität unterscheiden kann. Sie entwickelt dann Befürchtungen und Ängste, die mit der gegenwärtigen Realität nicht viel zu tun haben. Die Beraterin fordert daher die Klientin auf, die Phantasie an der Realität zu überprüfen. Sie fragt akribisch nach, wie die Vorstellungen und Umstände genau sind, damit die Klientin selbst den Realitätsgehalt mitbekommt. Dabei folgt die Beraterin der Klientin nicht vollständig in die Phantasie, sondern nur soweit wie es für die Realitätsüberprüfung notwendig ist. In diesem Fall nachzufragen, was denn auf der Geburtstagsparty passieren könnte, gäbe der Klientin noch mehr Raum zu phantasieren und ist bei Psychotikerinnen nicht angemessen. Die Ängste könnten dadurch gesteigert werden und der Realitätsbezug noch weiter verloren gehen. Es kommt darauf an, die Klientin soweit wie möglich in der Realität zu verankern, d.h. im Vordergrund der Beratung steht die aktuelle Situation - wie in diesem Fall Beruf und Schule.

Klientin: Ich weiß nicht, ob ich das wirklich besprechen will. Sie sagen mir ja doch wieder das Gleiche.

Beraterin: Was meinen sie, das ich doch immer wieder das Gleiche sage?

Klientin: Na ja, sie wissen schon, mit Phantasien und so.

Beraterin: Ja das stimmt. Ich sage Ihnen, dass sie ihre Phantasie an der Realität überprüfen müssen.

Klientin: Hm, ja. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich eine Phantasie ist, was ich da denke.

Beraterin: Also jetzt mal Butter bei die Fische, sagen sie mal, was sie gerade denken.

Klientin: Ich bin von einem Arbeitskollegen zu seiner Party zum 30. Geburtstag eingeladen worden. Das finde ich komisch.

Beraterin: Und, was ist daran so komisch?

Klientin: Na ja, ich habe eigentlich nichts mit dem zu tun. Also wir haben eigentlich kaum mal miteinander geredet und deshalb finde ich das total komisch und das löst Ängste bei mir aus.

Beraterin: Was für Ängste sind das denn.

Klientin: Ich habe das Gefühl, den Ort zu kennen, an dem die Party stattfindet, obwohl das außerhalb von Dortmund auf so´ nem Grillplatz am Wald ist.

Beraterin: Na dann sagen sie doch mal, wie der Grillplatz aussieht.

Klientin: Eben wie ein Grillplatz.

Beraterin: Das müssen sie schon genauer beschreiben.

Klientin: Also, das ist am Waldrand, da stehen zwei so Hütten, wo man sich unterstellen kann und ein großer Platz, wo man Grillen kann.

Beraterin: Wissen Sie, so sieht eigentlich jeder Grillplatz aus. Das ist noch kein Beweis, dass sie den wirklich kennen. Aber selbst wenn, warum löst das so ein seltsames Gefühl bei ihnen aus.

Klientin: Ich weiß auch nicht. Eigentlich dürfte ich den Ort nicht kennen, also ich glaube ich war noch nie da, aber irgendwie kommt mir das bekannt vor.

Beraterin: Sagen sie mal, wen hat ihr Kollege eigentlich noch alles eingeladen?

Klientin: Hm, also ich glaube die ganze Belegschaft.

Beraterin: Na da haben wir es doch. Da ist also nichts Besonderes an ihrer Einladung. Er will einfach nur groß feiern und ganz viel Leute einladen. Da sie zur Belegschaft gehören, gehören sie auch zu diesem Kreis. Wie finden Sie das? Also ich an ihrer Stelle würde auch meinen, dass es auch ein bißchen blöd ist, nichts Besonderes zu sein, oder?

Klientin: Hm, ja. Aber eigentlich will ich da gar nicht hin. Ich glaube, ich gehe lieber mit einer Freundin weg.

Beraterin: Also haben ihre Befürchtungen nicht viel mit der Realität zu tun gehabt, oder? Wie finden sie diese Feststellung von mir?

Klientin: Gut. Sie haben da Recht.

Beraterin: Jetzt müssen wir aber mal überlegen, warum sie diese Phantasie überhaupt entwickeln mussten. Beschreiben sie mir mal, wie es so auf der Arbeit abläuft und was ihre Abendschule macht.






10. Regression und Arbeit auf der Erwachsenenebene

Die Klientin nimmt in dieser Beratungssequenz gerade ihre dritte Sitzung in Anspruch. Die Beraterin möchte etwas über die aktuelle Situation der Klientin erfahren und fragt daher nach der Beziehung zu ihrer Mutter. Die Klientin bleibt an dieser Stelle nicht alleine bei der gegenwärtigen Situation, sondern beschreibt auch die Vergangenheit. Dadurch regrediert die Klientin plötzlich, d.h. sie fällt bei ihrer Schilderung der Missbrauchssituation gefühlsmäßig in diese zurück. Die Beraterin stoppt die Regression und lenkt das Gespräch auf die Erwachsenenebene und in die Gegenwart. Es wäre an dieser Stelle für die Klientin nicht förderlich gewesen, weiter in die Regression zu gehen. Aufgrund der Kürze des Beratungsprozesses ist zwischen Beraterin und Klientin noch keine ausreichende Beziehung entstanden, die eine solche Regression halten kann. Der Aufbau der Beratungsbeziehung steht an dieser Stelle im Vordergrund, die Regression ist dafür jetzt nicht förderlich. Eine weitere Schilderung kann für die Klientin so beschämend sein, dass sie die Beratung nicht fortsetzt und damit die Beziehung abbricht.

Beraterin: Wie ist denn eigentlich die Beziehung zu ihrer Mutter?

Klientin: Den Kontakt habe ich letztes Jahr im November abgebrochen.

Beraterin: Warum haben sie denn den Kontakt abgebrochen?

Klientin: Meine Mutter ist einfach nur nervig. Die will immer alles mögliche von mir und ist trotzdem nie zufrieden. Also für die bin ich so etwas wie das schwarze Schaf in der Familie. Da habe ich wirklich keinen Bock mehr darauf gehabt. Dann hat die mir vorgeworfen, ich hätte ein Lotterleben - weil ich doch meine Beziehung beendet habe. Aber das muss die gerade sagen.

Beraterin: Sie finden also, dass ihre Mutter ein Lotterleben hatte? Wie hat das denn ausgesehen und was hat denn ihr Vater dazu gesagt?

Klientin: Meine Eltern - also die hatten eigentlich gar keine richtige Ehe. Das war doch sowieso alles nur so pro Forma. Eben für die Fassade - nach außen heile Welt. Mehr aber auch nicht. Meine Mutter hat immer so prüde getan, aber selbst ist sie dann zum Hauptbahnhof gegangen.

Beraterin: Das verstehe ich nicht. War sie drogenabhängig?

Klientin: Nein, die hat da irgendwelche Kerle abgeschleppt und die dann mit nach Hause gebracht. (Die Klientin fängt fast an zu weinen) Manchmal hat sich mich dann dazu geholt und manchmal auch mit den Kerlen allein gelassen und die haben dann ...

Beraterin (unterbricht an der Stelle die Klientin): Also was sie da erzählen, da kann ich mir gut vorstellen, dass sie keine Lust mehr auf das nervige Genöle ihrer Mutter haben. Bei Ihnen zu Hause, da war ja wirklich Sodom und Gomorrha.

Klientin (grinst jetzt): Aber wirklich, dass kann ich ihnen sagen.

Beraterin: Darüber können wir an späterer Stelle noch mal sprechen. Was mich gerade viel mehr interessiert ist, wie verbringen sie eigentlich so den ganzen Tag? Was machen sie eigentlich beruflich?



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