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Eva Lüdtke

Sexualpädagogik und Internet - ein Widerspruch?


Dieser Frage bin ich nachgegangen und letztendlich zu dem Schluß gekommen, daß die Sexualpädagogik, die davon "lebt", daß sie mit Menschen in Beziehung tritt, in Grenzen im "ach-so-grenzenlosen" (anonymen) Internet eine sinnvolle Anwendung findet. Eine weitaus größere Einsatzmöglichkeit bietet sich im persönlichen Kontakt mit den Internet-AnwenderInnen am Beispiel des Internet-Cafés der INI in Lippstadt.

Die Ergebnisse der Abschlußarbeit resultieren aus den gewonnenen Kenntnissen der Ausbildung zur Sexualpädagogin und aus meiner praktischen Arbeit im Internet-Café.

Zu Beginn der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen von Sexualität und Sexualpädagogik dargestellt und die Werte und Normen der INI bzw. des Internet-Cafés erläutert. Es erfolgt eine Darstellung, in welcher Form es Sexualität im Internet bzw. im Internet-Café gibt. Als Gegenpol zur kritiklosen Begeisterung von Befürwortern des Internets setzt sich das 4. Kapitel mit dem Für und Wider bzw. den Chancen und Risiken des Internets unter sexualpädagogischen Gesichtspunkten auseinander. Als nächstes wird die Umsetzung der Ergebnisse in die praktische Arbeit konkretisiert. Dabei wird ein geschlechtsspezifischer Ansatz unter dem Begriff "Mädchenarbeit" herausgearbeitet. Auf sexualpädagogische Jungenarbeit ist nicht explizit eingegangen worden, weil dies den Rahmen sprengen würde. Anbei bemerkt, ist Jungenarbeit ebenso wichtig, da Jungen und Mädchen unterschiedliche Bedürfnisse, Wünsche, Ängste und Konflikte haben. Abschließend werden mögliche sexualpädagogische Projekte im Internet-Café vorgestellt.


Gliederung





1. Theoretische Grundlagen

Was ist Sexualität?

Sexualität läßt sich nicht auf die lateinische Übersetzung (Sexualität = Geschlechtlichkeit), das Körperliche und den Geschlechtsakt reduzieren. Sexualität ist viel mehr. Sie ist nicht von der menschlichen Existenz zu trennen. Schon ein Neugeborenes besitzt sexuelles Empfinden und braucht den körperlichen Kontakt zu anderen Menschen mit entsprechend lustbesetzten Erfahrungen.

In vielfältigen Formen drückt sich Sexualität aus: Zärtlichkeit, Leidenschaft, Hingabe, Sehnsucht, Verliebtheit, Beziehungen, Liebe, Sinnlichkeit, Erotik, Intimität - um nur einige zu nennen. Wobei auch andere Seiten vorhanden sind, nämlich die der Gewalt, Aggression, Sexismus, Prostitution, Pornographie, Perversionen etc.

Sexualität wird auch als Lebensenergie bezeichnet. Jeder weiß, wie kraftspendend und antriebsfördernd ein Zustand des Verliebtseins ist. Genau den gegenteiligen Effekt kann eine negativ erlebte Sexualität haben.

Wie Sexualität erlebt und gelebt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die eigene Lebensgeschichte, die erfahrene Sozialisation, bestimmte Ereignisse und damit verbundenen Gefühle und auch die persönliche Lebenssituation spielen hier eine tragende Rolle.
Sexualität ermöglicht Menschen die persönliche Erfahrung, akzeptiert, bestätigt und geliebt zu werden. Hierdurch gewinnt der einzelne an Selbstsicherheit und Selbständigkeit. Das Kennen der eigenen Bedürfnisse, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper, Selbstakzeptanz, Autonomie sind Ausdrucksformen einer selbstbestimmten Sexualität.


Was ist Sexualpädagogik?

Sexualpädagogik ist Beziehungsarbeit. Im Vordergrund steht nicht irgendeine Methodik, ein Superkonzept oder Wissenvermittlung über bspw. die richtige Anwendung von Verhütungsmitteln, sondern die Menschen, mit denen ich arbeite, und deren Gefühle. Dabei begegne ich ihnen mit unterschiedlicher Nähe und Distanz. Die Menschennähe, daß ich mich in andere hineinfühle und sie in ihrem Lernprozeß begleite, kann meinen KlientInnen u.a. zu einer erfüllten, positiven Sexualität verhelfen.


a) Welche Haltung hat die Sexualpädagogik zur Sexualität?

Sexualpädagogik (SP) ist sexualfreundlich. Sie geht davon aus, daß Sexualität selbstbestimmt und lustbetont sein sollte. Das heißt, die SP betont die lustvollen, energiespendenden und positiven Aspekte von Sexualität und sieht nicht in erster Linie die problematischen und schmerzhaften Seiten (sex. Gewalt, Abtreibung etc.). Sie sagt "Ja" zur Sexualität.

Diese Haltung gegenüber Sexualität spiegelt sich auch in der Haltung gegenüber den KlientInnen wider. So sind bspw. Jugendliche, die ein sexualpädagogisches Angebot wahrnehmen, nicht "unwissende, naive Geschöpfe", denen man mal zeigen muß, wo´s langgeht oder wie man´s richtig macht, sondern mündige KlientInnen, die evtl. Hilfe bei der Identitätsfindung brauchen.

In der Diskussion um den sexuellen Mißbrauch geht die SP ebenfalls an die konstruktiven Seiten von Sexualität heran. Die/der KlientIn ist nicht weiterhin das bedauernswerte Opfer, das viel Mitleid braucht und für den/die Sexualität nur schrecklich und angstbesetzt sein kann und bleibt. Stattdessen werden die KlientInnnen sowohl mit ihrer Opfermentalität konfrontiert als auch zum Handeln motiviert und haben somit eine echte Chance, aus ihrer Opferrolle herauszukommen. Die Bestätigung ihrer Opferrolle dagegen, würde diesen Status kultivieren und zu einem realen Problem werden lassen. Das Bewußtsein, ein Opfer und damit handlungsunfähig zu sein, hält die KlientInnen vom Leben fern, d.h. sie werden auch weiterhin zu Opfern gemacht. Wer ermuntert wird, aus der Opferrolle herauszufinden, ist nicht länger zur Unmündigkeit und Untätigkeit verdammt. Das Kennen der eigenen Bedürfnisse und das Vertrauen in die eigenen Gefühle erleichtern ein aktives, autonomes Handeln. Die SP setzt sich auch hier das Ziel, den KlientInnen zu einer Identitätsfindung und zu einer positiven Haltung zur eigenen Sexualität zu verhelfen.


b) Methoden und Inhalte

Sexualpädagogische Methoden und entsprechende Materialien sind lediglich als Unterstützung oder Hilfe zu verstehen und dienen dem Zweck, zu positiven Veränderungen zu motivieren und somit eine Weiterentwicklung und/oder Lernprozesse anzuregen. Wichtiger als jede Methode ist die Beziehung zu den KlientInnen. Methoden könnte man in diesem Zusammenhang auch als eine Brücke zur Entwicklung einer konstruktiven Beziehungsebene bezeichnen. Die Anwendung der Methoden richten sich nach den Bedürfnissen und Fragen der Betroffenen. Für die PädagogInnen heißt das, daß sie flexibel und offen sein müssen. Evtl. muß die eigene Planung während der Veranstaltung neu überdacht werden, um auf aktuelle Wünsche der TeilnehmerInnen einzugehen. Wird zu starr an dem ursprünglichen Plan festgehalten, besteht die Gefahr, daß die TeilnehmerInnen den Spaß verlieren, und das Entstehen von Vertrauen in die PädagogInnen wird erschwert. Das heißt aber nicht, daß bei dem leisesten Widerstand das komplette Konzept zu verwerfen ist. Hier ist Sensibilität gefragt: was ist möglich, was kann und darf Thema sein? Einfühlsames Konfrontieren von pädagogischer Seite aus ermöglicht den KlientInnnen, aus ihrer Sprachlosigkeit herauszufinden. Die Erfahrung, sich trotz anfänglicher Widerstände (Angst?) etwas erarbeitet bzw. den Mut gehabt zu haben, etwas zu thematisieren, kann ein großes Erfolgserlebnis für die Betroffenen sein.

SP bezieht sich auf zahlreiche Themen bzw. Lebensaspekte und verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Dementsprechend umfangreich sind die Inhalte der Arbeit:
SP leistet Körper- und Sexualaufklärung; sie beschränkt sich dabei nicht auf die Vermittlung von biologischem Wissen, sondern bezieht den ganzen Menschen mit seinem Körper, Verstand und seinen Gefühlen mit ein. Das erhaltene Wissen dient dazu, daß Vorurteile (z.B. über den Orgasmus) oder Unwissenheit abgebaut werden und somit das Verständnis für die eigenen Gefühle und den Körper wächst.

Weiterhin beschäftigt sich SP mit Verhütungsfragen, Werten und Normen, Liebe, Individualität, Kommunikation, Partnerschaft/Beziehungen, Geschlechtsrollen und auch - ohne Angst zu machen - den negativen Seiten von Sexualität. Wird der letztgenannte Punkt ausgelassen und alles sehr positiv dargestellt, läßt man diejenigen, die keine guten Erfahrungen mit Sexualität gemacht oder abweichende Meinungen haben, alleine.


c) Ziele

Wie schon im vorangegangenen Text deutlich wurde, ist ein herausragendes Ziel der SP, Menschen zu ihrer Identität zu verhelfen. Dabei sind die persönlichen Grenzen des einzelnen zu wahren. Es geht also nicht darum, jemanden zu ermutigen, locker über sein Intimleben zu sprechen, wenn dies nicht seiner Persönlichkeit entspricht. Ebenso ist Selbstentfaltung ohne Berücksichtigung des sozialen Umfeldes schwierig oder kann sogar selbstschädigend sein.

Weitere Ziele sind:

  • Überwindung von äußeren und inneren Barrieren (Vorurteile, Mythen, Rollenerwartungen etc.), die ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewußtes Sexualverhalten verhindern,
  • persönliche Kompetenzen (bspw. Kommunikations- und Konfliktfähigkeit) fördern, d.h. auch, daß KlientInnen lernen, sich in der Auseinandersetzung mit anderen zu behaupten,
  • zu selbstbestimmtem und selbstverantwortlichem Handel motivieren (den Betroffenen verdeutlichen, daß sie Potenzen haben, sich selbst und Beziehungen zu verändern, wenn sie es für nötig halten),
  • sich und eigene Wünsche wahrnehmen und ausdrücken zu können, um selbstbestimmt und partnerschaftlich mit Liebe, Sexualität und Beziehungen umzugehen, d.h., (selbst)bewußte Entscheidungen in Liebe und Partnerschaft, Beziehungen werden nach eigenen Interessen ausgerichtet,
  • zunehmend autonomes Denken und Fühlen ermöglichen,
  • aus der Sprachlosigkeit heraushelfen,
  • positives Verhältnis zum eigenen Körper fördern,
  • Informationsvermittlung,
  • Prävention von sexueller Gewalt.

In Gruppenkonstellationen ermöglicht SP den TeilnehmerInnen, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich und andere besser kennenzulernen und zu sehen, daß der einzelne mit seinen Ängsten und Fragen nicht alleine ist. Günstigenfalls entwickeln sich Fürsorge füreinander, Vertrauen bishin zu Freundschaften.

Erwähnenswert ist der Gedanke, daß SP - insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen - nicht als Kontrollfunktion mißbraucht werden darf. Dies liegt aufgrund der Einmischung in den intimsten Bereich relativ nahe.


d) Anforderungen an die SexualpädagogInnen

Neben den allgemeinen Anforderung, die an eine(n) LeiterIn einer Veranstaltung gestellt werden wie Belastbarkeit, Konfliktfähigkeit, Verantwortungsbewußtsein etc., ist es gerade in der SP ausschlaggebend, ob sich die Leitung auf die spezielle Situation und in ihre KlientInnen hineinversetzen kann. Bei jugendlichem Klientel heißt das z.B., sich in das Alter der Jugendlichen hineinzufinden. Das beinhaltet auch, daß die Leitung demgegenüber, was ihr (noch) fremd ist oder nicht wesentlich erscheint, aufgeschlossen ist, wenn es für die Betroffenen bedeutsam ist.

Um auf direkte Fragen zur Sexualität nicht ausweichend oder verunsichert zu reagieren, ist es unerläßlich, sich mit seiner eigenen Sexualität, seinen persönlichen und pädagogischen Grenzen (auch Unzulänglichkeiten, Schwächen), Normen und Werten (Einstellungen) kritisch auseinandergegesetzt zu haben. Zudem ist es für das Verstehen der anderen und deren Schwierigkeiten von erheblicher Bedeutung.

Den Betroffenen hilft es nicht weiter, wenn die SexualpädagogInnen als perfekte (fehlerfreie) Modellpersönlichkeiten auftreten und gar in moralisierender Weise ihre Werte und Normen zum besten geben. Diese Handlungsweise hat einen abschreckenden Charakter. Die KlientInnen reagieren mit Einschüchterung oder Trotz. Unter diesen Bedingungen ist keine konstruktive Beziehungsebene möglich, geschweige denn eine Weiterentwicklung der KlientInnen.

Die SP vertraut auf die Fähigkeiten der Betroffenen ohne überhöhte Erwartungen an sie zu stellen.




2. Werte und Normen der INI/Internet-Café

Die INI, Initiative für Jugendhilfe, Bildung und Arbeit e.V., ist ein gemeinnütziger, eingetragender Verein, der seit 1983 Aufgaben der Jugendhilfe wahrnimmt und seinen Sitz in Lippstadt hat.

Ein herausragendes Ziel des Vereins ist die Verbesserung der Lebens- und Berufsperspektive von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit dem Ziel, sie ins Berufsleben zu integrieren. Angeboten werden u.a. Beratung, ausbildungsbegleitende Hilfen, Qualifizierungslehrgänge, überbetriebliche Ausbildungen, verschiedene Wohnformen, ein Arbeitslosenzentrum und ein Internet-Café.

Die INI richtet sich vor allem an benachteiligte Jugendliche, die aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation und/oder ihrer teilweise negativen Lernerfahrungen keine Chance hatten, ihre Fähigkeiten auszubilden. Das Internet-Café spricht zudem diejenigen an, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und von offiziellen Seiten (Behörden) nicht erreicht werden können.

Ein Schulabschluß, eine Berufsausbildung bzw. die Aufnahme einer Arbeit hat bei der INI einen hohen Stellenwert. Jede Bestrebung, sei es Bewerbungstraining, Hilfen im Umgang mit Behörden, Stabilisierung der Persönlichkeit durch bspw. persönliche Beratung, Hilfe bei der Berufsfindung, Wissensvermittlung etc. zielt darauf, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen bessere Startchancen in das Berufsleben zu geben bzw. sie zu einer Aufnahme einer beruflichen Ausbildung oder Arbeitnehmertätigkeit zu motivieren.

Auch das Internet-Café dient vorrangig diesem Ziel. Das Konzept des Internet-Cafés (IC) baut auf das für Jugendliche attraktive elektronische Medium "Internet" und nutzt das Interesse an der Technik. Das IC ist ein interessanter Treffpunkt - vor allem für Arbeitslose, die das Internet ohne Kostenbeteiligung nutzen können. Sie (und andere Jugendliche bzw. junge Erwachsene) haben die Möglichkeit, mit Hilfe des Internets Erkundigungen zu Beruf und Ausbildung abzurufen, sich in die Stellenbörse des Arbeitsamtes einzuklicken oder einfach nur durch das Internet zu surfen. Darüberhinaus bietet das IC die Chance, zu anderen (Arbeitslosen) Kontakt aufzunehmen und/oder die dort tätigen SozialarbeiterInnen um Hilfestellung zu bitten. Für alle Interessierten werden zudem EDV-bezogene Projekte angeboten.

Wenn man berücksichtigt, daß gerade benachteiligte Jugendliche die unterschiedlichsten Probleme (Drogen, Kriminalität, Beziehungsprobleme, psychische Auffälligkeiten usw.) mitbringen, ist es um so offensichtlicher, daß sozialpädagogische Hilfen entwickelt werden müssen, die die soziale und psychische Lage der Jugendlichen besonders berücksichtigen und
die Jugendlichen als Person und nicht deren Leistung in den Mittelpunkt stellen (s. hierzu auch Kapitel 5).




3. Sexualität im Internet und im Internet-Café

Dieses Kapitel hat nicht den Anspruch, eine detailierte Analyse hinsichtlich des Vorhandenseins von Sexualität im Internet zu präsentieren. Diese Aufgabenstellung wäre unverhältnismäßig zeitintensiv, und das Ergebnis würde aufgrund der strukturellen Gegebenheiten des Internets sehr bald an Aktualität verlieren. Hier geht es vielmehr darum, die unterschiedlichsten Erscheinungsformen von Sexualität im Internet und im Internet-Café der INI zu skizzieren.



Sexualität im Internet

Was ist das Internet überhaupt? Das Internet ist ein ausgedehntes, weltweites Netz von Computern und kleineren Netzwerken, die über Leitungen und Funkstrecken miteinander verbunden sind. Jeder angeschlossene Computer besitzt eine eigene Internet-Adresse und kann Daten weltweit versenden.

Wer sich im Internet für Themen aus dem Bereich der Sexualität interessiert, muß sich ersteinmal aktiv darum bemühen, d.h., er muß entweder eine ihm schon bekannte Internet-Adresse eingeben, die ihn auf die gewünschte Seite bringt, oder er fragt bei einer Suchmaschine (Programm, daß eingetragene Internet-Adressen sucht) unter einem bestimmten Suchbegriff an, um entsprechende Adressen zu erhalten. Anders als bei anderen Medien (bspw. Fernsehen) wird er also nicht ungewünscht zu Konsum verführt und/oder mit den negativen Seiten von Sexualität belästigt.

Sexualität übt auf Menschen - auch in der digitalen Welt - einen großen Reiz aus, wie bspw. die Auswertung einer großen Suchmaschine belegt. Die ersten 30 Plätze wurden fast ausschließlich von Begriffen aus dem Bereich der Sexualität und des Computers belegt.

Kommerzielle und private Anbieter stellen erotisches und pornographisches, teilweise hochaufgelöstes Bildermaterial ins Netz. Die Angebotsvielfalt kennt hier keine Grenzen. Der Internet-Benutzer kann sich bspw. diverses Zubehör bestellen, eine Partnervermittlung aufrufen oder sich per Mausdruck auf Seiten klicken, die sexuelle Perversionen darstellen und auf entsprechende Adressen weiterverweisen.

Es gibt Informations- und Diskussionsforen über sexuelle Themen und Problematiken, die mehr oder weniger seriös sind.

Das Internet wird nicht zentral verwaltet oder kontrolliert. Dementsprechend kann jeder seine sexuellen Ideen, Wünsche, Phantasien etc. ins Netz stellen und andere ggf. auffordern, darauf zu reagieren.

In Chat-Rooms werden sexuelle Begegnungen und Beziehungen möglich. Das Internet bietet die Gelegenheit, unter Angabe einer bestimmten Adresse, mit anderen Teilnehmern online (= wenn man im Internet über eine bestehende Telefonverbindung arbeitet) zu chatten (engl. schwätzen) - ähnlich einem Telefontreff. Wünsche, Gedanken, Gefühle können durch das Tippen von Texten ausgedrückt und einer oder mehreren Personen vermittelt werden.

Seriöse, jugendgerechte und interessante Sexualberatungsangebote im Internet zu finden, gestaltet sich schwierig. Zum einen gibt es nur wenige solcher Angebote, zum anderen verhelfen die Suchmaschinen nicht immer zu einer erfolgreichen Suche (es werden oft zu viele und wenig fassende oder schlechte Ergebnisse geliefert).

Pro Familia bietet u.a. mit ihrer Seite "Sextra" Jugendlichen eine gute Möglichkeit, Zugang zu dem Thema "Sexualität" zu finden. Die Seite spricht verschiedene Bereiche an und darüberhinaus können die Jugendlichen per E-mail (= elektronische Post) Fragen stellen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellt ebenfalls ein Informations- und Beratungsangebot ins Netz. Darüberhinaus verweisen einige Träger auf ihr sexualpädagogisches Fortbildungsangebot für Multiplikatoren hin.

Dieser Hinweis auf sexualpädagogische Internet-Seiten zeichnet sich bei weitem nicht durch Vollständigkeit aus. Die Recherchen haben aber sehr deutlich gezeigt, daß für die wichtige Zielgruppe der Sexualpädagogik (Jugendliche und junge Erwachsene) das Internet-Angebot diesbezüglich unzureichend ist - und das, obwohl sie einen Großteil der Benutzer ausmachen und das Internet eine ständig steigende Zuwachsrate verbuchen kann.



Sexualität im Internet-Café

Jugendliche haben ein großes Interesse, sich mit Sexualität, Partnerschaft, Liebe etc. auseinanderzusetzen. Da das Internet zum Thema "Sexualität" einiges aufzuweisen hat, ist es nicht verwunderlich, daß bei dem ein oder anderen Jugendlichen im Internet-Café erotisches Material auf dem Bildschirm auftaucht. Hier ist der Einsatz des pädagogischen Personals gefragt, auf den an anderer Stelle noch eingegangen wird.

Größeren Spaß haben die Jugendlichen aber an den bereits erwähnten Chat-Rooms. Hier wird geflirtet "was das Zeug hält". Dabei kann es passieren, daß der spannende, virtuelle (= künstlich erzeugte) Flirt an dem Computer nebenan sitzt. Aus dem Online-Flirten entwickeln sich auch manchmal reale Kontakte. Chat-PartnerInnen tauschen Telefonnummern aus und verabreden sich.

Auch im Café kommen sich Jugendliche über das gemeinsame Interesse "Internet" näher. Von den MitarbeiterInnen des Internet-Cafés wurde beobachtet, daß Jugendliche immer häufiger ins Café kommen, um den Kontakt zu anderen Jugendlichen zu suchen. Das Internet ist nicht mehr der Mittelpunkt. Auch als Gesprächsthema steht das Internet nicht mehr im Vordergrund. Die Jugendlichen unterhalten sich über persönliche Belange; einige knüpfen auch Freundschaften untereinander. Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen sind dabei nicht ausgeschlossen. Neben der in der Regel umsichtigen Umgehensweise der BesucherInnen untereinander, kommt es vereinzelt aber auch zu verbalen Aggressionen unter den Jugendlichen oder zu unangenehmer Anmache gegenüber Mädchen.




4. Welche Chancen bietet das Internet - und wo liegen die Grenzen?

Im Zeitalter der zunehmenden Technisierung entsteht auf den ersten Blick der Eindruck, daß unsere Informationsgesellschaft zunehmend vereinsamt. Technische Innovationen - wie das Internet - treiben die Menschen in die Beziehungslosigkeit, so die Befürchtung von Technikgegnern. Diese Kritik läßt sich aber nur aufrechterhalten, wenn Gegenargumente nicht zugelassen werden und zu dem Kritikgegenstand eine ausreichende Distanz eingehalten wird. Ansonsten liefen die Kritiker Gefahr, von den neuen Medien ebenfalls fasziniert zu sein und durchaus positive Seiten zu entdecken.

Daß das Internet und dessen Beherrschung in Zukunft zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist nicht zu bestreiten. Einer Sozialpädagogik, die sich dagegen auflehnt oder diese Entwicklung ignoriert, fehlt der nötige Weitblick und zeigt keine Offenheit gegenüber den Interessen der Jugendlichen. Technische Neuerungen lassen sich trotz gegnerischer Stimmen nicht aufhalten. Der PC bspw. ist heute nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken, und in Schulen wird ja auch schon lange nicht mehr mit dem Rechenschieber gearbeitet.

Die Kritik, daß das Internet kein Ersatz für reale Kontakte ist, läßt sich natürlich nicht bestreiten. In diesem Zusammenhang stellen sich die Fragen: "Ist Beziehung im Internet möglich und wenn ja, wieviel? Wie gestalten sich die Beziehungen?"



Der Beziehungsaspekt

Das Internet macht es seinen BenutzerInnen möglich, ohne Schwellenangst und Berührungsängste unerkannt bzw. anonym Kontakt zu anderen aufzunehmen oder Informationen abzurufen. Er/sie hat sogar die Möglichkeit, eine andere Identität anzunehmen oder diese nur selektiv preiszugeben und so in einer anderen Rolle mit anderen zu kommunizieren. Zu bedenken ist, daß trotz der Anonymität des Empfängers und Senders hinter jedem Bildschirm ein wirklicher Mensch sitzt und als ein solcher behandelt werden will. Daß sich aus einem virtuellen ein wirklicher Kontakt entwickeln kann, ist nicht ausgeschlossen. Manche Provider (auch Anbieter: sie stellen u.a. den BenutzerInnen gegen Gebühr den Zugang zum Netz her) bieten als Serviceleistung Treffen an und fördern somit das gegenseitige Kennenlernen der KundInnen.

Kommunikation im Internet beschränkt sich lediglich auf Texte (evtl. auch Bilder), die sich die Sender und Empfänger zukommen lassen. Diese Einschränkung birgt die Gefahr, daß Nachrichten mißverstanden werden (bspw. wird Ironie nicht als solche erkannt). Gefühle sind ebenfalls nur in geschriebener Form, evtl. noch unter Zuhilfenahme von Emoticons (auch Smilies: Symbole, die Gefühlszustände ausdrücken), übermittelbar, und das Spontane, Mimik, Gestik, die Körpersprache überhaupt ist für den anderen nicht verfügbar. Die Beziehung der KommunikationspartnerInnen - oder gar die Sexualität - ist (schon aufgrund der räumlichen Distanz) nicht miteinander lebbar bzw. ausführbar, sondern nur besprechbar.
Hilfreich ist eine technisch unterstützte Kommunikation, wenn Menschen aus unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage sind, sich gegenseitig aufzusuchen. Schädigend bis zum Beziehungsabbruch kann sich das Medium auswirken, wenn es dazu genutzt wird, reale Kontaktaufnahme (z.B. persönliche Besuche) zu ersetzen.

Jugendliche befinden sich in einer Phase, in der sie sich in persönlichen Bereichen (wie bspw. der Sexualität) mit Problemen und Verunsicherungen konfrontiert sehen, resultierend u.a. aus der eigenen Unwissenheit, dem Mangel an Erfahrung, dem Nicht-einordnen-können der eigenen Gefühle und weil sie niemanden haben, der ihnen das nötige Verständnis und Offenheit entgegenbringt. Der Griff zur Tastatur ist dann nicht mehr weit, und schon wird im Internet um Rat gefragt. Die Anonymität des technischen Mediums erleichtert zudem, eventuelle Barrieren, Ängste und Hemmungen im Umgang mit heiklen Themen zu überwinden. Zur Wissenserweiterung und um Hinweise auf andere Links (Querverweis von einer Internet-Seite zur anderen), Literatur, Adressen und Beratungsstellen, die mit persönlicher Beratung weiterhelfen können, zu erhalten, ist das Internet sicherlich brauchbar. Wer aber im Internet den Kontakt zu anderen sucht, um seine Probleme zu lösen, wählt einen schweren Weg. Ein persönlicher Entwicklungsprozeß kann hierbei nicht erwartet werden. Unbearbeitet bleiben die eigentlichen Ursachen des Problems. Die Fragen, die in einem realen Beratungsprozeß thematisiert würden, wie nach einem geeigneten Gesprächspartner, die Sprachlosigkeit und Ängste sowie Hemmnisse im Umgang mit Sexualität, die Auseinandersetzung mit Gefühlen, Werten und Normen, können im Internet nicht ausreichende berücksichtigt werden.

Eine fachliche Beratung im Internet wird, auch wenn eine schnelle Rückmeldung erfolgt, durch die fehlende Unmittelbarkeit erschwert. Nach der ersten Konsultation werden weitere Fragen zur Problemklärung nicht so selbstverständlich gestellt wie in einer wirklichen Beratungssituation. BeraterIn und Hilfesuchende(r) sind auf das geschriebene Wort angewiesen. Andere Aspekte, die für Verlauf und Ergebnis des Beratungsprozesses wichtig sind, entfallen (z.B. Körpersprache). Die Beziehung zwischen den GesprächspartnerInnen, die in der Beratungssituation die Hauptrolle spielt, ist ebenfalls nicht gegeben, und somit ist die Einflußnahme auf den/die KlientIn sehr beschränkt. Der/die KlientIn kann nicht erwarten, daß er/sie einfühlsam begleitet und in seiner/ihrer ganzen Person wahrgenommen wird, wie es in einem Beratungsprozeß der Fall ist. Emotionen werden außen vorgelassen; es ist kein Spüren, Erleben, kein Miteinander und Ausprobieren möglich. Die Gelegenheit, sich an Vorbildern zu orientieren, andere zu erleben und zu erfahren, daß man mit seinem Problem nicht alleine ist, wird genommen. Darüberhinaus wird nur ein Sinn - das Sehen - angesprochen. Es besteht die Gefahr, daß der/die KlientIn nur selektiv liest und ein verfälschtes Bild erhält.

Im ungünstigsten Verlauf ist das Ergebnis der virtuellen Beratung nicht mehr als eine bloße Sach- und Informationsvermittlung oder erschöpft sich in eine "lösungsorientierte" Beratung à la Eva Berger bzw. Dr. Sommer, die niemand erstnehmen kann oder sollte. Dem/der KlientIn ist nicht geholfen, schlimmer noch: er/sie bleibt in der Anonymität, und das Problem verfestigt sich.

Eine Möglichkeit, sich im Internet öffentlich über bestimmte Themen (z.B. über Krankheiten, Behinderungen) mit anderen Interessenten bzw. Betroffenen auszutauschen, bieten Diskussionsforen, sog. Newsgroups. Den Stellenwert einer Selbsthilfegruppe können diese Newsgroups aber nicht besitzen. Mitgefühl und Betroffenheit können den DiskussionspartnerInnen nur schwer übermittelt werden.
Das Internet kann sicherlich Wissenslücken ausgleichen, es kann aber nicht bei
der Bearbeitung von persönlichen Problemen weiterhelfen und zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Eine Bereicherung ist das Medium, wenn es nicht als Ersatz für persönliche Kontakte und Kommunikation, sondern als Ergänzung oder als Anstoß, das Gespräch mit realen Personen zu suchen, dient.

Für viele Jugendliche bietet das Internet-Café die Möglichkeit, ihre Freizeit sinnvoll zu verbringen. Wo vorher Langeweile, destruktives Konsumverhalten und das Gefühl der Sinn-, Wert- und Nutzlosigkeit den Alltag bestimmten, stehen jetzt die eigene Aktivität, Kreativität und positive Rückmeldung von anderen im Vordergrund.
Jugendliche, die regelmäßig das Internet-Café besuchen, eignen sich innerhalb kurzer Zeit das erforderliche Know-how an und sind so in der Lage, neuen BesucherInnen bei Schwierigkeiten zu helfen. Das gegenseitige Helfen und die gemeinsamen Interessen weichen die Grenzen zwischen den verschiedenen Zielgruppen auf.
Die Erfahrung der eigenen Aktivität (anderen zu helfen), erfolgreich zu arbeiten (z.B. eigene Arbeiten ins Netz stellen), keine Stigmatisierung zu erfahren und die Anforderung an die eigene Person selbst dosieren und bestimmen zu können, fördern das Selbstwertgefühl und die Selbständigkeit. Das Internet-Café bietet seinen BesucherInnen mit Hilfe des Internets die Gelegenheit, sich im realen Kontakt mit anderen (Brücke zur Beziehung) und sich selbst auseinanderzusetzen.



Das Internet als Lern- und Informationsmittel

Die INI bietet ihren TeilnehmerInnen Multimediamodule an, in denen das Internet eine zentrale Rolle spielt. Die Jugendlichen erhalten eine umfassende Einführung und lernen, das neue Kommunikationsmittel sinnvoll zu nutzen.

In der Regel fällt es den TeilnehmerInnen leicht, sich im Internet zurechtzufinden. Lernerfolge lassen nicht lange auf sich warten. Für benachteiligte Jugendliche, bei denen in der Regelschule nicht selten Lernstörungen auftraten, kann sich diese Lernerfahrung positiv auf die Lernmotivation auswirken.

Die TeilnehmerInnen werden befähigt, sich zu einem vorgegebenen Thema Informationen zu beschaffen. Voraussetzung hierfür ist, daß passende Suchwörter für die Suchmaschinen formuliert werden. Die Kontaktaufnahme zu anderen Internet-BenutzerInnen und das Verschicken sowie Empfangen von E-mails erfordert, daß Texte geschrieben werden. Einige Jugendliche motiviert dieser Umstand, ihre Rechtschreibung und Grammatik aktiv zu verbessern. Darüberhinaus wirkt sich das regelmäßige Schreiben und Lesen oftmals positiv auf die Kommunikationsfähigkeit aus. Mangelnde Englischkenntnisse können die Verwertbarkeit von Informationen oder die Kommunikation mit englischsprachigen PartnerInnen einschränken. Da die Internetsprache offiziell Englisch ist, haben die TeilnehmerInnen ausreichend Gelegenheit, durch kontinuierliches Üben im Internet ihre Sprachkenntnisse aufzubessern und sich darüberhinaus mit anderen IC-BesucherInnen auszutauschen.

Abhängig von den Interessen und Fähigkeiten der Jugendlichen werden Unterrichtsinhalte vermittelt, wie bspw. selbständiges Recherchieren, Auswerten und Verarbeiten von Information, Formulierungshilfen, Vermittlung von Sprachkenntnissen, Erstellen von Homepages (Seite im Internet) u.v.m.

Das Internet, das auch als World Wide Web (WWW = weltweites Netz) bezeichnet wird, fördert die Kommunikation zwischen den AnwenderInnen in verschiedenen Ländern. Die Überwindung der Grenzen trägt dazu bei, eine multikulturelle Erziehung zu unterstützen und somit Vorurteile abzubauen. Dieser Aspekt ist für die europäische Gesellschaft nicht ohne Bedeutung.

Vorwiegend wird das Internet zur Beschaffung von Informationen gebraucht. Die Vorteile, die die moderne Technologie in diesem Zusammenhang zu bieten hat, liegen auf der Hand. Die Nachteile sind weniger offensichtlich. Den AnwenderInnen gehen durch die moderne Form der Informationsbeschaffung viele Möglichkeiten, ein persönliches Gespräch zu führen bzw. persönlich Kontakt aufzunehmen, verloren. Die reale Begegnung mit anderen ist überflüssig geworden.



Nachteile des Internets

Neben den bereits erwähnten Grenzen und Nachteilen des Internets sollten folgende Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben:

Die weltweite, grenzenlose Vernetzung hebt nicht alle Grenzen auf. Das Gegenteil ist der Fall. Grenzen werden insbesondere deutlich, wenn Barrieren auftauchen, bspw. unzulängliche Sprachkenntnisse oder gesellschaftliche Einschränkungen, was eher frustrierend als motivierend ist. Nicht jeder ist der englischen Sprache mächtig, und wer kein Geld hat, die Kosten für die Anschaffung der Hard- und Software aufzubringen und die Zugangs- und Telefongebühren zu bezahlen, hat keinen eigenen Zugang zum Internet.

Die Überwindung von geografischen Entfernungen, Zeitzonen, Altersgrenzen und sozialen Unterschieden kann schnell zur Verschiebung der Realität führen. Ein Kennenlernen der Menschen aus anderen Ländern ist bei einer Weltreise per Internet nicht in der Intensität möglich wie bei einer realen Reise. Das weltweite Kommunizieren zum Ortstarif, das das Internet ermöglicht, läßt bisweilen das Phänomen im Internet-Café beobachten, daß Chat-PartnerInnen aus entfernten Städten "mal eben" angerufen werden und die Realität in Form von hohen Telefongebühren "vergessen" wird.

Auch in persönlicher Hinsicht laufen insbesondere Jugendliche mit niedrigem Selbstwertgefühl Gefahr, die Realität nicht mehr richtig einzuschätzen. Die Beherrschung der Technik suggeriert Macht, Tüchtigkeit, Erfolg und Überlegenheit.
Bei einigen Jugendlichen wird der Wunsch geweckt, eine Berufsausbildung im EDV-Bereich anzustreben. Wenn sich die Wunschvorstellung nicht mit der Realität deckt, bspw. wenn ein vorausgesetzter Schulabschluß unerreichbar ist, wird die Hoffnung in Frustration und dem Gefühl der Unzulänglichkeit umschlagen.

Die virtuelle Welt bietet den BenutzerInnen attraktive Anwendungsmöglichkeiten (Chatten, Spielen, Surfen etc.), die manche Menschen nicht von ihrem Bildschirm weglocken können und ihr soziales Umfeld vergessen läßt. Die Flucht aus bzw. vor dem Alltag kann soziale Probleme, wie Isolation (Verlust von PartnerIn und Freunden; das Internet dient als Sozialkontakt), finanzieller Ruin (hohe Kosten durch die ständige Benutzung, Verlust des Arbeitsplatzes (durch fortwährende Übermüdungserscheinungen und Konzentrationsmangel oder gar Fehlen am Arbeitsplatz)), zur Folge haben. Wie bei jedem anderen Suchtmittel auch können die meisten aber kontrolliert damit umgehen. Die Suchtgefahr ist immer abhängig von der Persönlichkeitsstruktur des einzelnen.

Wie schon an anderer Stelle erwähnt, ist das Internet als Auskunftssystem nur bedingt hilfreich. DIe AnwenderInnen müssen genau wissen, wonach sie suchen und in der Lage sein, passende Suchwörter zu formulieren. Die Suche führt dann oftmals nicht zum gewünschten Ziel, sondern in einen Irrgarten von Daten. Beim zeitaufwendige Durchsehen der Informationen begegnen dem Internet-Benutzer viele unbrauchbare Hinweise und u.U. auch Links zu unseriöse Internet-Seiten.
Erschwerend kann hinzukommen, daß zu bestimmten Zeiten aufgrund der hohen Nutzerzahlen die Datenleitungen überlastet sind, und die Daten nur zögernd auf dem Bildschirm erscheinen.

Für das weltumspannende Netz gibt es kein Gesetz und kein Überwachungsorgan. So sehen sich manche Länder mit illegalen Inhalten konfrontiert, die für andere Länder völlig legal sind. Auch dem Rechtsradikalismus und der Kinderpornografie sind im Internet keine Grenzen gesetzt. Wer danach sucht, wird entsprechende Seiten finden. Diese Tatsache aber als übergroße Gefahr zu bezeichnen, wäre überzogen. Das Internet ist nicht das eigentliche Problem, sondern spiegelt lediglich bereits vorhandene Probleme wider. Den AnwenderInnen stehen zudem auch andere Quellen zur Verfügung, sich entsprechende Kontakte zu verschaffen.





5. Sexualpädagogik im Internet-Café

Sexualität ist gerade bei Jugendlichen ein spannendes Thema und ist aus ihrem Alltag nicht wegzudenken. In den unterschiedlichsten Formen begegnet ihnen auch im Internet und im Internet-Café Sexualität.

MitarbeiterInnen des Internet-Café, die einen sexualpädagogischen Ansatz vertreten, legen den Schwerpunkt der täglichen pädagogischen Arbeit nicht in die bewußte Sexualerziehung, sondern lassen Sexualität nicht außen vor, d.h., sie wird nicht ignoriert, sondern, wenn sie von Jugendlichen zum Thema gemacht wird, sei es deutlich oder versteckt, aufgegriffen und Bereitschaft zu einem offenen Gespräch gezeigt. Dabei kann es auch erforderlich sein, daß die PädagogInnen den Anstoß dazu geben müssen, wenn den Jugendlichen der erforderliche Mut, über das heikle Thema zu sprechen, fehlt. Hier ist ein Höchstmaß an Sensibilität angesagt, da bei einer zu forschen Herangehensweise die Jugendlichen irritiert bzw. trotzig reagieren könnten. Desweiteren bedeutet Sexualpädagogik im Internet-Café, die Haltung der Sexualpädagogik (s. Kapitel. 1) zu vermitteln und zu leben bzw. danach zu arbeiten.

Ein Tabuisieren von persönlichen Themen wie Beziehungswünsche, Sexualität, Ängste etc. vermittelt den Jugendlichen das Gefühl, daß dies kein Thema sein darf. Es wird ihnen nahezu unmöglich gemacht, in adäquater Form über ihre dringlichsten Belange zu sprechen. Möglicherweise sind aber gerade in diesem Lebensbereich die Probleme so schwerwiegend (Aids, sexueller Mißbrauch, ungewollte Schwangerschaft, Prostitution, Partnerschafts-, Identifikationsprobleme etc.), daß sogar eine Arbeitsaufnahme für die Betroffenen unmöglich ist.

Spüren Mädchen und Jungen, daß die PädagogInnen auch für diesen Bereich als AnsprechpartnerInnen zur Verfügung stehen, ist die Scheu, etwas Persönliches anzusprechen, geringer. Ignorieren die MitarbeiterInnen das Anliegen der Jugendlichen oder weichen sie der Thematik aus bzw. reagieren sie mit Verunsicherung, wird kein Dialog, der es den Jugendlichen ermöglicht, ihre Meinung zu vertreten, zu bestätigen oder auch zu korregieren, entstehen. PädagogInnen, die sich nicht als Person zeigen, d.h., die ihre Meinung zu einem bestimmten Thema anderen nicht zeigen, bieten sich nicht als Diskussions- bzw. KonfrontationspartnerInnen an. Derartiges Verhalten von Personen, die für andere eigentlich eine Vorbildfunktion darstellen, trägt dazu bei, die Betroffenen noch mehr zu verunsichern.

Die Sexualpädagogik mit ihrem ganzheitlichen Ansatz sieht in einem Menschen nicht ein "Instrument", das vor allem Arbeit und Leistung zu erbringen hat, sondern in Individuum, das Gefühle, Sinne und Wünsche besitzt. Werden Emotionen aus dem Arbeitsprozeß abgespaltet, müssen sie an anderer Stelle kompensiert werden. Das kann auf Kosten der/des Partnerin/Partners geschehen und/oder sich in Form von Aggression sowie Drogenmißbrauch zeigen. Das Zulassen von Gefühlen kann aber auch bedeuten, daß versteckte Aggressionen herausgelassen werden. Vorausgesetzt die PädagogInnen halten diese Situation aus, bietet es die Chance, daß die Betroffenen lernen, bewußter mit ihren Ausbrüchen umzugehen.

Die virtuelle Welt wird durch den Einsatz der Sexualpädagogik in moralischer Hinsicht nicht besser. Die Sexualpädagogik kann aber bei den BesucherInnen des Internet-Cafés moralische Wertvorstellung bzw. Maßstäbe setzen, mit denen sie sich identifizieren können und die für alle Verbindlichkeit haben. Offene, konstruktive Gespräche, die die eigene Meinung der MitarbeiterInnen transparent werden lassen, helfen den Jugendlichen zu mehr Selbstverantwortung. Das erreicht keine Software, die reagiert, wenn bestimmte Internet-Seiten aufgerufen werden.

Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel und den daraus abgeleitet Konsequenzen für die Praxis soll betont werden, daß im Internet-Café nicht selbstverständlich und ohne Vorbereitung nach sexualpädagogischen Grundsätzen gearbeitet werden kann. Zu akzeptieren sind unbedingt die persönlichen Grenzen der einzelnen MitarbeiterInnen. Wer sich nicht mit der Thematik auseinandersetzen kann oder will, sollte nicht genötigt werden, nach einem sexualpädagogischen Konzept zu arbeiten. Das Wahrnehmen und Akzeptieren der individuellen Grenzen gilt bei allen - nicht nur bei den KlientInnen.



Mädchenarbeit

In technischen Berufsbereichen wird Mädchen weniger Beachtung entgegengebracht. Diese Feststellung hilft Mädchen nur, wenn sich hieraus auch ein Handeln abzeichnet. Wie schon in Kapitel 1 beschrieben, wird die Opferhaltung beibehalten ("Die armen Mädchen kommen zu kurz, werden zu wenig beachtet"), wenn nach dem Diagnostizieren dieses Defizits keine Motivation in Richtung Veränderung erfolgt. Ein geschlechtsspezifisches Angebot speziell für Mädchen unter sexualpädagogischen Gesichtspunkten wirkt dem entgegen.

Das Internet-Café der INI bietet bereits in unregelmäßigen Abständen Mädchentage an. Ziel der Veranstaltungen ist, die Mädchen über eine Einführung ins Internet zu ermutigen, regelmäßig das Internet-Café zu besuchen. Die Inhalte der Mädchentage beschränken sich auf die Vermittlung von Wissen; der Umgang mit dem Medium "Internet" steht deutlich im Vordergrund. Die Frage, weshalb sich die Mädchen für eine Mädchenveranstaltung interessieren und nicht das tägliche Angebot des Internet-Cafés nutzen, bleibt ungestellt. Die Teilnehmerinnen scheinen mit dem Angebot sehr zufrieden zu sein, trotzdem läßt sich eine gewisse Verbindlichkeit nicht herstellen. Kein Mädchen besuchte später das Internet-Café.

Ausländische Mädchen wurden mit der Ausschreibung des Mädchentages nicht erreicht, obwohl der Gedanke, daß insbesondere für muslimische Mädchen die Veranstaltung von Interesse ist, da die Teilnahme unter Ausschluß von männlichen Jugendlichen zu einer höheren Akzeptanz innerhalb einer traditionell eingestellten Familie führt, naheliegt. Eine Ausschreibung, die einen Bezug zum täglichen Leben von muslimischen Mädchen hat und weniger freizeitorientiert wirkt (bspw. "Hausaufgabenhilfe für ausländische Mädchen per Internet"), erleichtert möglicherweise das Wahrnehmen des Angebotes.

Der ganzheitliche Ansatz der Sexualpädagogik nimmt den ganzen Menschen wahr - mit all seinen Wünschen, Schwächen und Stärken. Die Vermittlung von Wissen spielt im Vergleich zur Beziehung zu den einzelnen Personen eine untergeordnete Rolle. Ein geschlechtsspezifisches Angebot darf die unterschiedliche Sozialisation von Mädchen und Jungen nicht außer Acht lassen, denn die Sozialisation und bestimmte Erfahrungen beeinflussen entscheidend das Rollenverhalten, das die Notwendigkeit eines geschlechtsspezifischen Angebotes rechtfertigt.

Mädchenspezifische Veranstaltungen sollen den Teilnehmerinnen ermöglichen, sich aus der Rollenzuschreibung, die das patriachalische Denken ohne jegliche Basis für Mädchen vorsieht, zu befreien - weg vom Objekt, hin zum Subjekt (Aufwertung!) - ohne ihnen ein neues Rollenverhalten aufzudrängen. Der geschützte Freiraum ermutigt sie, Neues auszuprobieren und das ohne Konkurrenzdruck zu Jungen, "die sich ja sowieso viel besser auskennen". Ohne sich gegenüber dem anderen Geschlecht rechtfertigen zu müssen, können Erfahrungen oder Befürchtungen, die einem negativen Selbst- und Jungenbild zugrundeliegen, aufgearbeitet werden.
Weitere Ziele sind (s. hierzu auch Kapitel 1. c)) :
- Stärkung des Selbstbewußtseins - auch im Umgang mit Jungen
- Wecken des Widerstandspotentials
- Stärkung der Eigenverantwortung und zunehmende Autonomie
- Förderung der Solidarität und der Kommunikation unter Mädchen
- Spaß, Spannung und Entspannung



Sexualpädagogische Projekte im Internet-Café

Das letzte Kapitel der Abschlußarbeit beschränkt sich auf eine Auflistung von Projekten mit sexualpädagogischem Ansatz, die im Internet-Café umsetzbar sind und die Interessen der INI wahrnehmen. Die detaillierte Vorbereitung der Projekte und die konzeptionellen Überlegungen müßten im konkreten Fall erfolgen. Das Internet dient bei diesen Projekten als Arbeitsmittel, es ist aber nicht als Ersatz für andere sexualpädagogische Arbeitsformen zu sehen.

Vorab sei bemerkt, daß die Abteilung "Jugendberatung" der INI neben der Beratungstätigkeit auch sexualpädagogische und geschlechtsspezifische Seminare anbietet. Das Internet-Café versteht sich nicht als Konkurrenz zur Jugendberatung, sondern als sinnvolle Ergänzung. Ein fachlicher Austausch der beiden Abteilung "Jugendberatung" und "Internet-Café" ist sinnvoll und produktiv.

Falls mit der Durchführung eines Projektes eine Honorarkraft beauftragt wird, ist es wichtig, daß ein(e) MitarbeiterIn der INI die Veranstaltung leitet. So ist eine gewisse Kontinuität und die Verankerung der Arbeit in das Gesamtkonzept des Trägers eher gewährleistet.


Projekte:

1. Recherchieren
Die TeilnehmerInnen erhalten die Aufgabe, nach bestimmten (vorgegebenen) Themen oder Begriffen, die etwas mit Sexualität zu tun haben, im Internet zu recherchieren. Die Ergebnisse werden zusammengetragen und der gesamten Gruppe vorgestellt. Alles Weitere ergibt sich von selbst.

2. Diskutieren
Die ProjektleiterInnen stellen von ihnen ausgewählte Internet-Seiten zur Verfügung, die dann als Einstieg zur Diskussion über bspw. Normen und Werte, Verhaltensweisen, Gefühle, Liebe und Sexualität dienen.

3. Gestaltung einer Internet-Seite
Wie in Kapitel 3 dargelegt, gibt es im Internet nur wenige Seiten, die jugendgerechte Aufklärungsarbeit leisten. In einer Projektarbeit wird mit den Jugendlichen dieses Manko überprüft ("Deckt sich die Realität mit den Wünschen der Zielgruppe?") und der Frage nachgegangen: "Wie müßte eine verständliche, interessante, peppige und witzige Seite sein, die Jugendliche umfassend informiert und ggf. den Austausch unter Jugendlichen fördert?" Anschließend erfolgt die praktischer Umsetzung der Arbeitsergebnisse. Nach der Veranstaltung sind die TeilnehmerInnen in der Lage, eine eigene Seite ins Netz zu stellen.

4. Schönheit im Internet
Dieses Thema bietet sich für ein mädchenspezifisches Angebot an. Die Mädchen werden ermuntert, im Internet nach Schönheitsberatern zu suchen und die Ergebnisse ihrer Suche auszudrucken. Anschließend diskutieren die Teilnehmerinnen über die gängigen Schönheitsideale. Die kritische Reflexion dient dem Annehmen und Finden des eigenen, individuellen Körperbildes. Andere Suchbegriffe können sein: Schwangerschaft und Verhütung, Traummänner, Menstruation u.v.m.

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